OLG Karlsruhe: 1 Sterne Bewertung ohne Kommentar rechtswidrig
Entgegen der Auffassung anderer Oberlandesgerichte hat nunmehr das OLG Karlsruhe entschieden, dass der Bewertungsportalbetreiber eine 1 Sterne Bewertung ohne Kommentar auch dann entfernen muss, wenn wegen des fehlenden Kommentartextes vom bewerteten Arzt ein fehlender Arztkontakt gerügt wird.
Schon lange haben sich die Landgerichte, Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Rechtmäßigkeit anonym abgegebener Bewertungen auf einschlägigen Bewertungsportalen wie (kununu, Jameda oder Google) zu beschäftigen.
Dass sich Ärzte, Rechtsanwälte und Arbeitgeber grundsätzlich bewerten lassen müssen und Bewertungen hinnehmen müssen, hat der BGH bereits entschieden (vgl. nur BGH Az. VI ZR 488/19, S. 10 Rn. 7).
Dies begründet der BGH damit, dass insbesondere Arztbewertungsportale eine „von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion haben“ (BGH Az. VI ZR 488/19, S. 10 Rn. 7). Infolgedessen muss eine Bewertung dem Grunde nach hingenommen werden.
Anonyme Bewertungen als Risikofaktor
Ausgangspunkt für die meist gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den bewerteten Unternehmer*innen (häufig Ärzt*innen) und den Betreibern der Bewertungsportale ist der Umstand, dass das deutsche Rechtssystem grundsätzlich die anonyme Benutzung des Internets und etwaiger Angebote von Telemedien vorsieht. Während dieser Grundsatz früher in § 13 Abs. 6 TMG geregelt war, ist er seit dem 01.12.2021 in § 19 Abs. 2 S. 1 TTDSG normiert.
Damit Betroffene überhaupt eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen (rechtswidrige) Bewertungen haben, hat die Rechtsprechung die sog. Störerhaftung und den Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG anerkannt. Dieser gegen den Betreiber des Bewertungsportals gerichtete Anspruch kann zu einer Beseitigung der Bewertung führen, wenn keine andere Person (aufgrund der Anonymität im Netzt) rechtlich greifbar ist.
Meinungsfreiheit tritt bei unwahren Tatsachenbehauptungen zurück
Die Meinungsfreiheit tritt jedoch dann hinter dem Persönlichkeitsrecht des bewerteten Arztes zurück, wenn es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelt.
Eine Tatsachenbehauptung meint dabei Geschehnisse der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Diese sind von Meinungen und Werturteilen abzugrenzen.
Werturteile oder Meinungen sind von einer subjektiven Verbindung zwischen dem Äußernden und dem Inhalt der Äußerung geprägt. Sie enthalten vielmehr Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens. Abgrenzungskriterium ist damit die Beweisbarkeit.
Zur Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung ist auf einen unvoreingenommenen Durchschnittsrezipienten abzustellen.
Eine anonym abgegebene 1-Sterne-Bewertung ist grundsätzlich nicht dem Beweis zugänglich. Mithin handelt es sich um eine Meinungsäußerung. Eine Meinung ist jedoch auch dann unzulässig, wenn ihre Tatsachengrundlage falsch ist.
Fehlender Arztkontakt führt zur Rechtswidrigkeit der Bewertung
Sofern eine schlechte Bewertung (auf z.B. der Bewertungsplattform Jameda) abgegeben wurde, in tatsächlicher Hinsicht aber kein Arztkontakt bestand, fehlt der Bewertung die Tatsachengrundlage.
Dies bestätigte nun auch das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.07.2020 – Az. 6 W 49/19).
In der Rechtspraxis empfiehlt es sich daher, den Bewertungskontakt gerade bei negativen Bewertungen, die keinen Kommentartext beinhalten, zu bestreiten. Google und andere Provider müssen dies dann prüfen und den Bewertenden zur Stellungnahme auffordern. Es müssen sodann Belegtatsachen geliefert werden, aus denen ein Kontakt zum Bewerteten hervorgeht.
Möglichkeiten gegen negative Bewertungen
Durchschnittsleser von Bewertungen geht von Arztkontakt aus
Nach Ansicht des OLG Karlsruhe suggerieren auch 1 Sterne Bewertungen ohne Kommentar dem unvoreingenommenen Durchschnittsleser, dass es einen ärztlichen und nicht bloß organisatorischen Kontakt zum Arzt gab. Gleiches gilt auch für andere Unternehmer, die bewertet wurden.
Hierzu führt das OLG Karlsruhe aus:
„Das gilt jedenfalls dann, wenn der angesprochene, durchschnittliche Nutzer eine pseudonyme Ein-Stern-Bewertung ohne Kommentar immer auf die angebotene Leistung, hier die Behandlung durch den Kl., bezieht. Das ist nach Überzeugung des Senats … in dem Sinn der Fall, dass eine Bewertung ohne Kommentar als Gesamtbeurteilung verstanden wird, in die die angebotene – hier ärztliche – Leistung immer einfließt. (…) Daher rechnet der durchschnittliche Nutzer damit, dass es besonders gekennzeichnet wird, wenn sich eine Bewertung ausnahmsweise vorrangig oder gar ausschließlich auf das sonstige Auftreten – wie Freundlichkeit oder Organisation – des Bewerteten beziehen soll“ (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.07.2020 – Az. 6 W 49/19, 3.2-3.3.).
Bestreiten eines ärztlichen Kontakts genügt
Für den Anspruch aus Störerhaftung muss es – nach Ansicht des OLG Karlsruhe – daher genügen, wenn der klagende Arzt den Arztkontakt bestreitet.
Umkehr der Darlegungs- und Beweislast
Ferner hat das OLG Karlsruhe noch einmal darauf hingewiesen, dass gerade bei anonym abgegebenen Bewertungen die Möglichkeiten des bewerteten Arztes beschränkt sind. So bleibt den betroffenen Ärzten regelmäßig nichts anderes übrig, als den Betreiber des Bewertungsportals auf die Rechtswidrigkeit der konkreten Bewertung hinzuweisen (notice and take-down letter).
Sodann trifft den Portalbetreiber eine Rechercheobliegenheit. Diese führt dazu, „dass diese [die Beklagte = Bewertungsportalbetreiber] eine sekundäre Darlegungslast trifft. Kommt die Bekl. dieser nicht nach, ist die Behauptung des Kl., der von ihm angegriffenen Bewertung liege kein Behandlungskontakt zu Grunde, […] als zugestanden zu bewerten“ (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.07.2020 – Az. 6 W 49/19, Rn. 4.0).
- Negative Bewertungen
- Interview für das Unternehmermagazin procontra.de zum Thema negative Bewertungen und Online-Reputation
- Interview zum Thema Vorgehen gegen negative Bewertungen für die Wirtschaftswoche (Handelsblatt)
- Interview für das Unternehmermagazin impulse.de zum Thema negative Online-Bewertungen
Vergleich mit Bewertung von Anwälten greift nicht durch
Zur Verteidigung führt die beklagte Betreiberin der Bewertungsplattform an, dass – genauso wie bei der Bewertung von Rechtsanwälten – der Arzt zunächst überprüfen und ausschließen muss, dass die Bewertung von einem seiner Patienten geschrieben wurde. Hierzu beruft sich die Beklagte auf ein Urteil des OLG Hamburg (Urt. v. 22.01.2019, 7 U 126/16). Nach dem OLG Karlsruhe greift dieser Vergleich jedoch nicht durch.
Auch das Hanseatische Oberlandesgericht hat in den Entscheidungen, auf die sich die Beklagte beruft, ausgeführt, es teile „nicht die Auffassung des Klägers, wonach es keinen relevanten Unterschied mache, ob ein Arzt oder ein Anwalt bewertet werde“ und es könne deshalb ausreichen, „wenn der betroffene Arzt gegenüber dem Host-Provider behauptet, dass der angegriffenen Bewertung kein Behandlungskontakt zu Grunde liege; dies kann namentlich dann gelten, wenn die Bewertung keinerlei tatsächlichen, die konkrete Behandlung beschreibenden Angaben enthielt, weil dann der Bewertete zu konkreteren Darlegungen gegenüber dem Host-Provider nicht in der Lage ist“ (OLG Karlsruhe, Az. 6 W 49/19 = MMR 2021, 521 (514) Rn. 2.9).
Anders noch das OLG Nürnberg
Dieses vertrat zwar auch die Ansicht, dass sich eine Bewertung auch ohne einen Kommentartext auf die ärztliche Leistung bezieht (Beschl. v. 17.07.2019 – Az. 3 W 1470/19). ‚]
Zwar ist die Äußerung detailarm, insb. geht aus der Bewertung selbst nicht unmittelbar hervor, worauf der Nutzer „B... H...“ seine Bewertung stützt und was der Hintergrund der Bewertung ist. Auch ist mit der Vergabe des Sterns und der Äußerung „Oje. Naja.“ keine Aussage darüber getroffen, welche konkreten Leistungen oder Personen ... gemeint sind.
Der Aussagegehalt der Bewertung ist jedoch dahingehend zu verstehen, dass der Autor in irgendeiner Form mit dem Leistungsangebot des Bewerteten in Kontakt gekommen ist und dieses als unzureichend empfunden hat.“ (OLG Nürnberg, Az. 3 W 1470/19 = MMR 2020, 322, Rn. 31-33).
Anders als das OLG Karlsruhe nahm das OLG Nürnberg keine Umkehr der Darlegungslast an. So heißt es im Beschluss:
Fazit:
Im Ergebnis ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe zu begrüßen. Die von anderen Land- und Oberlandesgerichten (z.B. des OLG Nürnberg) vertretene Auffassung würde dazu führen, dass es den Ärzten quasi unmöglich gemacht werden würde, sich gegen 1 Sterne Bewertungen ohne Kommentar zu wehren. Nur unter Zugrundelegung der vom OLG Karlsruhe gesetzten Maßstäbe bleibt das Vorgehen gegen den Provider (z.B. Google) ein effektives Mittel zur Abwehr rechtswidriger 1-Sterne-Bewertungen.
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