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Verdachtsberichterstattung – Wann sind Medienberichte über Straftaten zulässig?
Die Gründe für eine Verdachtsberichterstattung über strafrechtlich relevantes Verhalten sind vielfältig. Zum einen das Interesse der Medien an Skandalen und die allgemeine Faszination für Verbrechen, aber auch das Aufrechterhalten von Sensibilität für gesellschaftliche Fehlentwicklungen sowie der zunehmende Aktualitätsdruck, dem sich viele Medienhäuser bei der Generierung von „Likes“ und „Klicks“ unterwerfen.
Beispielhaft sind der Kachelmann-Krimi, in dem der Bundesgerichtshof über die Zulässigkeit einer Berichterstattung während eines laufenden Strafverfahrens über Äußerungen, aus denen sich Rückschlüsse auf sexuelle Neigungen ergeben, zu urteilen hatte, das Verfahren wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post (Fall Klaus Zumwinkel), das Verfahren gegen die Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss und Sebastian Edathy wegen des Besitzes kinderpornografischen Materials, das Verfahren wegen Untreue „auf Grund erkauften Sinneswandels“ gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden von Mannesmann, Klaus Esser, in Bezug auf seine Zustimmung zur Übernahme von Mannesmann durch Vodafone sowie das „Fall Emden“, wo über einen zu Unrecht wegen Mordes an der elfjährigen Lena aus Emden verdächtigten und drei Tage in Untersuchungshaft einsitzenden 17 Jahre alten Berufsschüler berichtet wurde.
Das Problem der Verdachtsberichterstattung ist jedoch nicht auf Straftaten beschränkt. So hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg entschieden, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung auch dann Anwendung finden sollen, wenn sich der Verdacht nicht auf eine Straftat richtet, sondern auf ein sonstiges Verhalten, das geeignet ist, das Ansehen des von der Berichterstattung Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
FAQ-Ratgeber
Wann sind Medienberichte über Straftaten zulässig?
Folgende von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen müssen eine zulässige Verdachtsberichterstattung erfüllen:
- Mindestbestand an Beweistatsachen
- Keine Vorverurteilung
- Vorfall von gravierendem Gewicht
- Stellungnahme des Betroffenen
Bei Verdachtsberichterstattungen sind oben dargestellten Rechte und Interessen der Betroffenen stets zu beachten. Denn wer in Verdacht geraten ist, bleibt oft auch bei vollem Unschuldsbeweis mit einem Makel behaftet, zumal über die Ausräumung des Verdachts meist weit weniger auffällig oder überhaupt nicht berichtet wird.
Aus dieser Spannungslage folgt, dass über einen Verdacht öffentlich nur dann berichtet werden darf, wenn dafür hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sind. In jedem Fall muss die Presse, ehe sie sich zur Veröffentlichung entschließt, durch die ihr möglichen Ermittlungen die Gefahr, dass sie über die Betroffenen etwas Falsches verbreitet, nach Kräften auszuschalten suchen. Fehlt demnach ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der der Meldung überhaupt erst Öffentlichkeitswert verleiht, hat die Presse auf die Veröffentlichung überhaupt zu verzichten. Daher muss die Presse vor der Aufstellung oder Verbreitung einer Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt anstellen. Recherchepflichten sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. Die Recherchepflichten sind umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beeinträchtigt.
Welche Ansprüche bestehen bei unzulässiger Verdachtsberichterstattung?
Den von einer unzulässigen Medienberichterstattung betroffenen Medienopfern stehen unterschiedliche Ansprüche gegen die entsprechenden Medienhäuser zu. Je nach Einzelfall und nach Art und Umfang der Persönlichkeitsrechtsverletzung haben die Betroffenen die folgenden Ansprüche:
- Unterlassungsanspruch
- Gegendarstellungsanspruch
- Berichtigungsanspruch
- Geldentschädigungsanspruch
- Schadensersatzanspruch
- Auskunftsanspruch
- Vernichtung- bzw. Herausgabeanspruch
Vabanquespiel Verdachtsberichterstattung?
Aufgabe der Presse ist es, durch Beschaffung und Verbreitung von Nachrichten, durch Stellungnahmen, Übung von Kritik und auf andere Weise an der Meinungsbildung mitzuwirken. Es besteht bei der Berichterstattung über einen Verdacht jedoch die große Gefahr, dass die Presse dabei über das Ziel hinausschießt und bei dem Betroffenen dann unabhängig davon, ob sich der Verdacht im Laufe der Ermittlungen bestätigt oder nicht, „immer irgendwas hängen bleibt.“
Mit einer Verdachtsberichterstattung gehen somit für den Betroffenen erhebliche Belastungen und Risiken – bis hin zum gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und privaten Ruin – noch bevor das Strafverfahren abgeschlossen ist und die Schuld oder Unschuld des Verdächtigen feststeht, einher.
Gerade durch die Dynamik des Internets drohen Stigmatisierung und Vorverurteilung des Betroffenen sowie teilweise auch die (unbewusste/bewusste) Beeinflussung von am Strafverfahren beteiligten Personen wie Zeugen, Sachverständigen, Richter etc. Positive Effekte sind die Ausnahme. Eins dürfte in einem Zeitalter, in dem „das Internet nichts vergisst“, allen klar sein: Ein Makel an dem (angeblichen) Straftäter bleibt für immer haften. Einen vollständigen Ausgleich erlittener Schäden vermögen etwaig bestehende zivil- und/oder strafrechtliche Ansprüche nicht zu gewähren.
Rechtliche Ausgangslage der Berichterstattung über Strafverfahren
Ausgehend davon, dass Straftaten zum aktuellen Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist, ist es bei der Berichterstattung über einen Verdacht stets Voraussetzung, dass durch die Art der Darstellung deutlich gemacht wird, dass es sich einstweilen um nicht mehr als einen Verdacht handelt. Es ist daher zumindest erforderlich, dass erkennbar wird, dass die Sachlage offen ist, die Tat nicht erwiesen ist und im Ergebnis nicht mehr für als gegen seine Richtigkeit spricht.
Es entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die Presse das Informationsinteresse auf den Betroffenen möglichst schonende Weise befriedigt, solange das Risiko einer Falschbeschuldigung besteht. Denn Presseveröffentlichungen über eine Straftat oder einen Verdacht einer Straftat unter Namensnennung oder Veröffentlichung eines Fotos des Betroffenen belasten das Persönlichkeitsrecht des Täters bzw. Tatverdächtigen schwer, so die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Der den Presseorganen auferlegten Aufgabe, über Straftaten oder den Verdacht einer Straftat zu berichten, steht die Unschuldsvermutung und das der Menschenwürde entspringende und grundgesetzlich fest verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen sowie sein Recht auf ein faires Verfahren entgegen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verdächtigen leiten sich u.a. folgende durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigte Rechte ab:
- das Recht auf persönliche Ehre
- das Recht auf Nichtentsozialisierung
- das Recht auf Anonymität
- das Recht am eigenen Bild
- das Recht auf Schutz vor Indiskretion
Dem gegenüber steht die aus Art. 5 GG entspringende Presse- und Meinungsfreiheit sowie das öffentliche Informationsinteresse. Im Falle der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch Medienberichte über Strafverfahren müssen diese konkurrierenden Grundrechtspositionen im Rahmen einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung in Ausgleich gebracht werden.
Vorverurteilung durch Berichterstattung über Strafverfahren unzulässig
Bei Medienberichten über Straftaten und Strafverfahren ist ferner jede vorverurteilende Darstellung, die den unzutreffenden Eindruck erweckt, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt, zwingend zu vermeiden. Unzulässig ist auch eine auf reine Sensation ausgehende, bewusst einseitige, verfälschende oder lückenhafte Darstellung. Gerade dieser Aspekt scheint vielen Online-Zeitungen, die es sich oftmals zum Ziel machen, die Sensationsgier ihrer Leserschaft tagesaktuell und exklusiv zu befriedigen sowie handfeste Skandale und angeblich Aufsehen erregende Sensationen zu liefern, egal zu sein. Dabei werden oftmals die zur Verteidigung des Betroffenen vorhandenen Tatsachen unberücksichtigt gelassen.
Verdachtsberichterstattung und Verbot der Prangerwirkung
Weiter dürfen ehrverletzende Verdächtigungen wegen der damit verbundenen Prangerwirkung nur dann in einer die Identität des Betroffenen preisgebenden Weise veröffentlicht werden, wenn an der Herausstellung der Person des Tatverdächtigen ein besonderes und die Interessen des Betroffenen überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Ein derartiges Interesse kann überhaupt nur dann gegeben sein, wenn es sich bei der im Raume stehenden Straftat um eine solche von erheblicher Bedeutung handelt, oder der Verdächtige in einer herausgehobenen Position oder in einem besonderen Verhältnis zur mutmaßlichen Tat steht.
Dem Betroffenen muss in jedem Fall der Sachverhalt zur Stellungnahme, um dessen Standpunkt zu erfahren, vorgelegt werden, der den Verdacht begründet. Das wird leider von vielen Medien missachtet.
Privilegierte/vertrauenswürdige Quellen
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2012 (BVerfG v. 09.03.2012 – 1 BvR 1891/05 – Homestory) entschieden, dass ein Journalist/Redakteur wird annehmen dürfen, „dass eine in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zu Grunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat, ohne aber die Verdachtsmomente stets vollständig mitgeteilt zu bekommen und eigenständig bewerten zu können.“ Daher können Medienhäuser grundsätzlich beispielsweise von der Staatsanwaltschaft veröffentlichte Verdächtigungen übernehmen und weiterverbreiten.
Achtung: Medienhäuser müssen jedoch auch weiterhin bei der Frage, inwieweit identifizierend über einen Verdächtigen berichtet wird, eine eigene umfassende Güter- und Interessenabwägung vornehmen und hierbei auch die Auswirkungen für den von der Berichterstattung Betroffenen im Blick haben.
Unsere Leistungen als Fachanwälte für Medienrecht
Sollten auch Sie durch eine unzulässige Medienberichterstattung in Ihren Persönlichkeitsrechten verletzt worden sein, stehen wir Ihnen als Fachanwälte für Medienrecht in Berlin jederzeit bundesweit unterstützend zur Seite. Als Fachanwaltskanzlei sind wir auf das Medienrecht und dabei insbesondere auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen spezialisiert und verfügen über umfangreiche Erfahrung bei der außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Medien. Wir haben bereits Mehr als 100 Gerichtsverfahren wegen unzulässiger Verdachtsberichterstattung geführt. Nehmen Sie gern unverbindlich Kontakt zu uns auf. Wir vertreten Sie bundesweit.