Die Health-Claims-Verordnung und was man über Health Claims wissen sollte
Die Health-Claims-Verordnung (EU-Verordnung 1924/2006), kurz HCVO, legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben bei Lebensmitteln zulässig ist. Mit der HCVO wurden erstmalig europaweit einheitliche Regelung für die Verwendung derartiger Angaben geschaffen. Insbesondere legt die Verordnung spezielle Werbeverbote und Kennzeichnungspflichten fest. Ziel der Health-Claims-Verordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für den Verbraucher zu gewährleisten.
Der nachfolgende Beitrag von Rechtsanwalt David Geßner, LL.M. nennt die wichtigsten Regelungsinhalte der HCVO und erläutert, was Unternehmer und Online-Händler nach der Health-Claims-Verordnung bei der Bewerbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln beachten müssen. Die Beachtung der Regelungen der HCVO dient insbesondere auch der Vermeidung kostspieliger Abmahnungen im Wettbewerbsrecht. Auch auf aktuelle Entscheidungen aus der Rechtsprechung wird entsprechend Bezug genommen. Das Wettbewerbsrecht regelt Sanktionen bei unlauterem Verhalten im Wettbewerb.
Der Anwendungsbereich der Health-Claims-Verordnung
Nach Art. 1 Abs. 2 HCVO findet die Verordnung Anwendung bei allen nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung, Aufmachung oder bei der Werbung für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel gemacht werden, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen. Ferner bei Lebensmitteln, die für Restaurants, Krankenhäuser, Schulen, Kantinen und ähnliche Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, sowie gemäß Art. 1 Abs. 3 HCVO auch bei Handelsmarken, sonstigen Markennamen und Fantasiebezeichnungen, die als nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben aufgefasst werden können. Zusätzlich kann die Health-Claims-Verordnung nach der Rechtsprechung auch Anwendung bei der Bewerbung von Lebensmittelgruppen finden (vgl. Urteil des LG Berlin vom 10.05.2011, Az. 16 O 259/10).
Eingeschränkter Anwendungsbereich der HCVO in bestimmten Fällen
Die Health-Claims-Verordnung entfaltet Wirkung gegenüber jedem, der Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel unverpackt oder in Großgebinden innerhalb der EU in den Verkehr bringt, kennzeichnet oder bewirbt.
Für Lebensmittel, die zum sofortigen Verkauf fertig verpackt werden oder an der Verkaufsstelle auf Wunsch des Käufers verpackt werden und für vorverpackte Lebensmittel (inklusive Frischprodukten), die dem Endverbraucher oder Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung zum Kauf angeboten werden, gilt die Health-Claims-Verordnung hingegen nur eingeschränkt (Art. 7 und Art. 10 Absatz 2 a) und b) HCVO finden dann keine Anwendung).
Auch für Handelsmarken, Markennamen oder Phantasiebezeichnungen, die in der Kennzeichnung, Aufmachung oder Werbung für ein Lebensmittel verwendet werden und als nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe aufgefasst werden können, ist der Anwendungsbereich eingeschränkt.
Grundsätzlich ausgenommen vom Anwendungsbereich der HCVO sind
- Kosmetika, Futtermittel, Arzneimittel und Medizinprodukte (hier können jedoch andere Rechtsvorschriften greifen, wie etwa die EU-KosmetikVO)
- Angaben, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften bereits vorgeschrieben sind (etwa solche nach der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung „LMKV“).
- nicht gesundheits- oder nährwertbezogene Angaben,
- Mitteilungen nicht-kommerzieller Art
- nährwertbezogenen Angaben mit negativen Aussagen über bestimmte Eigenschaften eines Lebensmittels
Wichtige Begriffsbestimmungen der Health-Claims-Verordnung (HCVO)
Die Health-Claims-Verordnung enthält diverse Begriffe, welche bei der Beurteilung, ob werbende Aussagen in Bezug auf Lebensmittel wettbewerbskonform sind, eine wichtige Rolle spielen.
„Angaben“
Dem Begriff der „Angabe“ (engl. „Claim“) im Sinne der Verordnung unterfällt gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO jede Aussage oder Darstellung, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, einschließlich Darstellungen durch Bilder, grafische Elemente oder Symbole in jeder Form, und mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt.
„Nährwertbezogene Angabe“
Gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO ist damit jede Angabe erfasst, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt, und zwar aufgrund der Energie (des Brennwerts), die es liefert, in vermindertem oder erhöhtem Maße liefert oder nicht liefert, und/oder der Nährstoffe oder anderen Substanzen, die es enthält, in verminderter oder erhöhter Menge enthält oder nicht enthält.
„Gesundheitsbezogene Angabe“
Unter einer „gesundheitsbezogenen Angabe“ wird gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO jede Angabe erfasst, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht.
„Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos“
Als „Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos“ ist nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 6 HCVO jede Angabe definiert, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass der Verzehr einer Lebensmittelkategorie, eines Lebensmittels oder eines Lebensmittelbestandteils einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Krankheit beim Menschen deutlich senkt.
Sie ist grundsätzlich nach der HCVO nicht erlaubt, kann aber ausnahmsweise nach einer behördlichen Genehmigung und nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 2 HCVO zulässig sein.
„Krankheitsbezogene Angaben“
„Krankheitsbezogen“ ist eine Aussage dann, wenn sie dem angesprochenen Verbraucher unmittelbar oder mittelbar suggeriert, das beworbene Lebensmittel könne zur Beseitigung, Linderung oder Verhütung einer Krankheit beitragen.
Krankheitsbezogene Werbung ist nach der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) generell verboten. Wenn jedoch eine krankheitsreduzierende Angabe nach der HCVO vorliegt, die zugelassen wurde und mit den Pflichthinweisen nach Art. 14 Abs. 2 versehen wird, ist die LMIV nicht anwendbar.
„Kommerzielle Mitteilung“
Der Begriff der kommerziellen Mitteilung wird zwar nicht in der HCVO legaldefiniert. Ihm dürfte aber die gleiche Bedeutung zukommen, wie dem Begriff der „kommerziellen Kommunikation“ in Art. 2 f) der RL 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr. Umfasst sind demnach „alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt“.
„Werbung“
Unter Werbung ist nach Art. 2 Abs. 1 g) RL 2006/114/EG: „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“ zu verstehen.
Werbung stellt einen Unterfall der kommerziellen Mitteilung dar. Anders als die „Kennzeichnung“ und die „Aufmachung“ muss sie sich nicht auf ein konkret bestimmtes einzelnes Lebensmittel beziehen, sondern umfasst auch allgemeine produkt- oder herstellerübergreifende Kommunikation.
„Kennzeichnung“
Auch eine Definition der „Kennzeichnung“ oder „Etikettierung“ findet sich nicht in der Health-Claims-Verordnung. Allerdings wird der Begriff in Art. 1 Abs. 3 a) der Richtlinie 2000/13/EG sowie in Art. 2 Abs. 2 j) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) des Europäischen Parlaments und des Rates definiert.
Umfasst sind danach „alle Wörter, Angaben, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf Verpackungen, Schriftstücken, Tafeln, Etiketten, Ringen oder Verschlüssen jeglicher Art angebracht sind und dieses Lebensmittel begleiten oder sich auf dieses Lebensmittel beziehen“.
Eine „Kennzeichnung“ bezieht sich unmittelbar auf die Abgabe des Lebensmittels an den Endverbraucher, während sich „Werbung“ auf die Förderung des Absatzes von Lebensmitteln durch den Lebensmittelunternehmer bezieht.
„Aufmachung“
Auf der Grundlage der Erläuterungen in Art. 2 Abs. 3 a) der Richtlinie 2000/13/EG sowie Art. 7 Abs. 4 b) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 wird unter „Aufmachung“ insbesondere die Form oder das Aussehen dieser Lebensmittel oder ihrer Verpackung, das verwendete Verpackungsmaterial, die Art und Weise ihrer Anordnung und der Rahmen ihrer Darbietungen verstanden.
Allgemeine Grundsätze und Bedingungen für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben
In den Artikeln 3 – 7 HCVO werden eine Reihe von allgemeinen Grundsätzen und Bedingungen für die Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben festgelegt, insbesondere:
Verbot der Irreführung
Artikel 3 HCVO statuiert ein umfassendes Irreführungsverbot zum Schutz von Verbrauchern. Danach dürfen nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben:
- nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein;
- keine Zweifel über die Sicherheit und/oder die ernährungsphysiologische Eignung anderer Lebensmittel wecken;
- nicht zum übermäßigen Verzehr eines Lebensmittels ermutigen oder diesen wohlwollend darstellen;
- nicht erklären, suggerieren oder auch nur mittelbar zum Ausdruck bringen, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung generell nicht die erforderlichen Mengen an Nährstoffen liefern kann;
- nicht -durch eine Textaussage oder durch Darstellungen in Form von Bildern, grafischen Elementen oder symbolische Darstellungen — auf Veränderungen bei Körperfunktionen Bezug nehmen, die beim Verbraucher Ängste auslösen oder daraus Nutzen ziehen könnten.
Lebensmittel muss seinem „Nährwertprofil“ entsprechen
Gemäß Art. 4 HCVO soll die Kommission spezifische Nährwertprofile festlegen, denen Lebensmittel oder bestimmte Lebensmittelkategorien entsprechen müssen, um nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben tragen zu können. Unter einem Nährwertprofil versteht man die charakteristische Nährstoffzusammensetzung eines Lebensmittels.
Zwar arbeitet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit („ESFA“) seit langem unter Beteiligung der Mitgliedsstaaten an der Erstellung solcher Nährwertprofile. Allerdings ist dieser Prozess noch nicht abschlossen (Stand: Dezember 2020), so dass sogar diskutiert wird, diese Vorgaben aus der Vorordnung ganz zu streichen. Ursprünglich sollte eine Festlegung der Profile bis zum 19.01.2008 erfolgen.
Vorgaben für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent
Artikel 4 Abs. 3 HCVO verbietet gesundheitsbezogene Aussagen für alkoholische Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent. Hier sind nur nährwertbezogene Angaben zulässig, die sich auf einen geringen Alkoholgehalt oder eine Reduzierung des Alkoholgehalts oder eine Reduzierung des Brennwerts beziehen. Dies gilt trotz der missverständlichen Formulierung („tragen“) auch für Werbeaussagen, die im Internet getätigt werden
Wissenschaftliche Absicherung von Angaben durch anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse
Nach Art. 5 Abs. 1 a) HCVO muss anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise nachgewiesen sein, dass das Vorhandensein, das Fehlen oder der verringerte Gehalt des Nährstoffs oder der anderen Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, in einem Lebensmittel oder einer Kategorie von Lebensmitteln eine positive ernährungsbezogene Wirkung oder physiologische Wirkung hat. Nach Art. 6 Abs. 1 HCVO müssen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und durch diese abgesichert sein.
Erfordernis der Nährwertkennzeichnung
Gemäß Art. 7 HCVO sind für Stoffe, die Gegenstand einer nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angabe sind und nicht in der Nährwertkennzeichnung erscheinen, die jeweiligen Mengen in demselben Sichtfeld in unmittelbarer Nähe dieser Nährwertkennzeichnung gemäß Art. 6 der Richtlinie 90/496/EWG anzugeben.
Nach Art. 7 Abs. 1 HCVO besteht jedoch eine Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht für produktübergreifende Werbung, also solche Angaben, die sich auf mehrere Lebensmittel oder mehrere Produkte beziehen.
Spezielle Vorgaben für gesundheitsbezogenen Angaben
Die Health-Claims-Verordnung enthält besondere Vorgaben für die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben in Bezug auf Lebensmittel, welche zwingend beachtet werden sollten.
HCVO enthält Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
Gemäß Art. 10 Abs. 1 HCVO gilt für gesundheitsbezogene Angaben ein „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“. Danach sind gesundheitsbezogene Angaben grundsätzlich verboten, solange sie nicht den allgemeinen Anforderungen (Art. 3 bis 7 HCVO) und den speziellen Anforderungen (Art. 10 bis 19 HCVO) entsprechen, gemäß der Health-Claims-Verordnung zugelassen und in die Gemeinschaftsliste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der HCVO aufgenommen wurden.
Die Health-Claims-Verordnung sieht dabei unterschiedliche Zulassungsverfahren für „Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos“ und „Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern“ einerseits (vgl. Art. 14 HCVO) sowie für „andere gesundheitsbezogene Angaben als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern“ anderseits (vgl. Art. 13 HCVO) vor.
Erstgenannte Angaben unterliegen zwingend einem Einzelzulassungsverfahren, während die letztgenannten Angaben erst durch die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste nach Art. 13 Abs. 3 HCVO eine Zulassung erlangen.
Gemeinschaftsliste nach Artikel 13 Abs. 3 HCVO
Die Europäische Kommission hat bereits 2012 eine erste Liste gem. Art. 13 Abs. 3 HCVO festgelegt, mit der 222 gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel genehmigt wurden. Diese Liste wurde später durch zahlreiche Rechtsverordnungen erweitert und abgeändert. Die Kommission arbeitet auch hier eng mit der EFSA zusammen, welche eine wissenschaftliche Bewertung der jeweiligen Health-Claims vornimmt. Nach Stellungnahme der EFSA entscheidet die Kommission erneut darüber, ob bestimmte Angaben in die Liste der zugelassenen Health-Claims aufgenommen werden.
Generell gilt, dass nur die in der Liste genannten Health-Claims zulässig sind. Es muss also stets der konkret vorgegebene Wortlaut übernommen werden.
Tipp: Um die Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe feststellen zu können, kann auf die regelmäßig aktualisierte EU-Datenbank unter
https://ec.europa.eu/food/safety/labelling_nutrition/claims/register/public/?event=register.home
zugegriffen werden, da hier sämtliche bereits zugelassene Health-Claims vollständig aufgeführt sind. Nicht zugelassene Claims werden mit der Begründung für ihre Ablehnung im Unionsregister veröffentlicht.
Weitere Listen mit zulässigen Health-Claims:
Neben dieser Gemeinschaftsliste existieren noch weitere Listen mit zugelassenen Health-Claims:
- Die Gemeinschaftsliste aus der VO (EU) Nr. 432/2012 für andere Angaben als über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern.
Aktuelle Fassung abrufbar unter http://ec.europa.eu/nuhclaims/?event=search
- Die Listen aus der Verordnungen Nr. 1226/2014 und Nr. 1228/2014 für Angaben, die sich auf die Reduktion von Krankheitsrisiken beziehen.
„On-Hold-Claims“ oder Health-Claims mit „Pending“ Status
Zu beachten ist jedoch, dass die Gemeinschaftslisten keinesfalls abschließend sind. So existieren eine Reihe von Health-Claims, deren wissenschaftliche Prüfung noch nicht abgeschlossen ist bzw. deren Prüfung durch die europäische Kommission ausgesetzt wurde (sog. „claims on hold“).
„Botanicals“
Hierzu gehören insbesondere gesundheitsbezogene Angaben über bestimmte pflanzliche Stoffe, die sog. „Botanicals“. Hintergrund für die Aussetzung ist, dass bestimmte pflanzliche Substanzen sowohl Bestandteil von traditionellen pflanzlichen Heilmitteln sein können, als auch von Lebensmitteln. Um eine unterschiedliche rechtliche Einstufung für ein und dieselbe pflanzliche Substanz zu vermeiden und eine ungleiche Behandlung von pflanzlichen Produkten auf dem EU-Markt sowie eine mögliche Irreführung von Verbrauchern zu verhindern, wurde die Aufnahme von gesundheitsbezogenen Angaben mit derartigen Pflanzenstoffen vorerst zurückgestellt.
Welche Vorgaben gelten nun für On-Hold-Claims bzw. für Botanicals?
Für diese Stoffe gilt zunächst die Übergangsfrist des Art. 28 Abs. 5 der HCVO. Hiernach dürfen gesundheitsbezogene Angaben bis zur Annahme der in Art. 13 Abs. 3 der HCVO genannten Liste unter Verantwortung von Lebensmittelunternehmern nur verwendet werden, wenn diese Angaben der Health-Claims-Verordnung und den einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften entsprechen.
Kein Erlaubnistatbestand
Die Übergangsfrist führt jedoch nicht dazu, dass für Botanicals aus der HCVO noch keine Regelungen zur Anwendung kommen können. Denn sie stellt keinen Erlaubnistatbestand dar, sondern ein Verbot, das lediglich einen Erlaubnisvorbehalt enthält. Nicht ausdrücklich zugelassene Health-Claims sind im Kontext der Botanicals nur erlaubt, wenn diese Claims – neben den nationalen Regelungen – den besonderen Vorgaben der HCVO entsprechen.
Erforderlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse
Zu beachten ist insbesondere Art. 5 HCVO, wonach die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig ist, wenn anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisse nachgewiesen ist, dass der Wirkstoff, auf den sich die jeweiligen Angaben beziehen, die beworbene positive physiologische Wirkung hat.
Wem obliegt der Wirksamkeitsnachweis?
Dieser Wirksamkeitsnachweis obliegt nicht nur dem herstellenden, sondern auch dem werbenden Unternehmen. Denn die Nachweispflicht obliegt grundsätzlich all denen, die sich die gesundheitsbezogenen Angaben im Rahmen der Werbung oder auf der Produktverpackung zu Nutze machen.
Anforderungen an die Nachweispflichten des Unternehmers
Zu der Frage, welche Anforderungen an die Nachweispflichten zu stellen sind, hat der EuGH kürzlich entschieden, dass der Lebensmittelunternehmer die volle Beweislast für gesundheitsbezogene Angaben trägt, deren Zulassung zwar bereits beantragt, jedoch noch nicht geprüft wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 10.09.2020, Az. C-363/19 – Konsumentombudsmannen ./. Mezina AB). Er begründete dies insbesondere mit dem Wortlaut von Art. 28 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 2 HCVO, wonach der Unternehmer die „Verantwortung“ trage und die Verwendung der Angaben „begründen“ müsse.
Erforderlich sei eine objektive, wissenschaftliche Grundlage über die positive Wirkung der Stoffe. Hierfür müsse eine ausreichende Einigkeit in der Wissenschaft bestehen, dh. die Aussagen müssten wissenschaftlich abgesichert sein und alle verfügbaren wissenschaftlichen Daten und Nachweise entsprechend berücksichtigt und abgewogen werden.
Der Unternehmer muss daher zum Zeitpunkt der Verwendung der einzelnen Aussagen in der Lage sein, diese nach dem in der Health-Claims-Verordnung normierten Regel-Ausnahmeverhältnis (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) mit allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu belegen.
Keine eigenen Studien durch den Lebensmittelunternehmer erforderlich
Der EuGH betonte allerdings, dass der Lebensmittelunternehmer keine eigenen Nachweise erbringen müsse oder wissenschaftliche Studien selbst durchführen müsse. Es sei vielmehr ausreichend, wenn der Unternehmer die Nachweise aus dem Dossier des Antrags in die Liste gemäß Art. 13 Abs. 3 HCVO oder Nachweise aus anderen Quellen vorlegt.
Dies deckt sich auch mit einer Entscheidung des BGH, wonach sich die hinreichende wissenschaftliche Absicherung bereits aus einer einzelnen Arbeit ergeben kann, sofern diese auf überzeugenden Methoden und Feststellungen beruht (BGH I ZR 23/07, LMRR 2010, 42 = GRUR 2010, 359 – Vorbeugen mit Coffein „Alpezin“). Trägt der Werbende jedoch im Streitfall zum Nachweis der Richtigkeit einer gesundheitsbezogenen Angabe nichts Konkretes vor, ist die Verwendung der Angaben grundsätzlich unzulässig.
Hinweispflichten bei gesundheitsbezogener Werbung
In Art. 10 Abs. 2 HCVO sind für die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben in der Werbung spezielle Hinweispflichten vorgesehen, die eine eigene Zulässigkeitsbedingung darstellen.
Gesundheitsbezogene Angaben dürfen danach nur gemacht werden, wenn die Kennzeichnung oder, falls diese Kennzeichnung fehlt, die Aufmachung der Lebensmittel und die Lebensmittelwerbung folgende Informationen tragen:
- Einen Hinweis auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise.
- Informationen zur Menge des Lebensmittels und zum Verzehrmuster, die erforderlich sind, um die behauptete positive Wirkung zu erzielen.
- Gegebenenfalls einen Hinweis an Personen, die es vermeiden sollten, dieses Lebensmittel zu verzehren
- Einen geeigneten Warnhinweis bei Produkten, die bei übermäßigem Verzehr eine Gesundheitsgefahr darstellen könnten.
Die vorgenannten Hinweispflichten müssen kumulativ erfüllt werden. Andernfalls ist die gesundheitsbezogene Angabe unzulässig.
Erfordernis einer doppelten Informationspflicht?
Ob es genügt, die Pflichtangaben allein auf dem Etikett eines Lebensmittels darzustellen, oder zusätzlich auch in gesundheitsbezogener Werbung anzugeben, ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt.
Tipp: Um eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung zu vermeiden, empfehlen wir bis zur höchstrichterlichen Klärung dieser Frage zusätzlich die Pflichthinweise auch in der „Werbung“ des Lebensmittels auszuweisen, sofern hier ebenfalls gesundheitsbezogene Angaben gemacht werden.
Verbot bestimmter gesundheitsbezogener Angaben
Nach Art. 12 HCVO sind die folgenden gesundheitsbezogenen Angaben unzulässig bzw. verboten:
- Angaben, die den Eindruck erwecken, durch Verzicht auf das Lebensmittel könnte die Gesundheit beeinträchtigt werden;
- Angaben über Dauer und Ausmaß der Gewichtsabnahme
Allerdings: Gemäß Artikel 13 Abs. 1 c) HCVO sind Angaben, welche die schlank machenden oder gewichtskontrollierenden Eigenschaften des Lebensmittels oder die Verringerung des Hungergefühls oder ein verstärktes Sättigungsgefühl oder eine verringerte Energieaufnahme durch den Verzehr des Lebensmittels beschreiben oder darauf verweisen, zulässig, soweit sie wissenschaftlich abgesichert sind und den Verbraucher nicht täuschen. Auch müssen sie in der Gemeinschaftsliste geführt sein.
- Angaben, die auf Empfehlungen von einzelnen Ärzten oder Vertretern medizinischer Berufe und von Vereinigungen, die nicht in Art. 11 HCVO genannt werden, verweisen.
Besondere Bedingungen bei der Bewerbung gesundheitsbezogener Angaben im Fernabsatz
Art. 1 Abs. 2 HCVO sieht eine besondere Ausnahmeregelung für nicht vorverpackte Lebensmittel vor, die dem Endverbraucher oder Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung zum Kauf angeboten werden, sowie für Lebensmittel, die entweder an der Verkaufsstelle auf Wunsch des Käufers verpackt oder zum sofortigen Verkauf fertig verpackt werden.
In diesen Fällen kann auf die verpflichtenden Informationen nach Art. 10 Abs. 2 a) und b) HCVO grundsätzlich verzichtet werden.
In jedem Fall erforderlich sind jedoch die Hinweise gemäß Artikel 10 Absatz 2 c) und d) HCVO.
Spezielle Vorgaben für nährwertbezogene Angaben
Nährwertbezogene Angaben dürfen gemäß Art. 8 HCVO nur gemacht werden, wenn
- sie in der Liste im Anhang der Verordnung aufgeführt sind und
- den in dieser Verordnung festgelegten allgemeinen Bedingungen entsprechen
Die Liste mit zulässigen nährwertbezogenen Angaben findet sich direkt im Anhang der HCVO. Angaben müssen insbesondere die dort aufgeführten materiellen Bedingungen erfüllen. Zwar gibt die Liste keine ausdrücklichen Formulierungen vor. Werden jedoch Angaben gemacht, die mit einer im Anhang genannten Formulierung identisch sind oder nach dem Verständnis des Verbrauchers bedeutungsgleich sind, müssen diese dem materiellen Zulässigkeitsrahmen entsprechen.
Können Verstöße gegen die HCVO nach dem Wettbewerbsrecht abgemahnt werden?
Grundsätzlich ja. Verschiedene Vorschriften der HCVO, insbesondere die speziellen Werbeverbote, sind inzwischen von der Rechtsprechung als sog. Marktverhaltensregeln iSd. § 3a UWG eingestuft worden.
Hierzu zählen insbesondere die Vorschriften des Art. 10 Abs. 1 HCVO (zuletzt vom BGH mit Urteil v. 26.02.2014, Az. I ZR 178/12 – Praebiotik zu §4 Nr. 11 UWG a.F.), Art. 10 Abs. 2 a) und Art. 10 Abs. 3 HCVO (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 07.10.2014, Az. 4 U 138/13; OLG Rostock, Urteil v. 25.05.2011, Az. 2 U 2/11).
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