Die UWG-Reform 2020 und Ihre Auswirkungen auf die Abmahnpraxis im Wettbewerbsrecht
Die UWG- Reform hat einige wichtige Änderungen mit sich gebracht. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Abmahnungen im Wettbewerbsrecht wegen Verstößen gegen die Informationspflichten im Internet stetig zu. Was eigentlich zum Schutze der Verbraucher als notwendiges Korrektiv gegen irreführendes Unternehmerverhalten gedacht war, entwickelte sich jedoch immer mehr zum Selbstzweck. Denn nicht selten nutzten Abmahnanwälte und dubiose Interessenvereine die wettbewerbsrechtliche Abmahnung bei Bagatellverstößen im Internet als lukratives Geschäftsmodell.
Seit dem 2. Dezember 2020 ist nun das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ in Kraft getreten, mit dem das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) in weiten Teilen überarbeitet wurde. Mit der Gesetzesnovellierung wollte der Gesetzgeber vor allem dem Missbrauch wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen zur Erzielung von Gewinnen und Vertragsstrafen durch Unternehmen und Interessenverbände entgegentreten. Zugleich sollten die Rechte der Abgemahnten gestärkt werden. Die UWG- Reform hat zum Teil erhebliche Auswirkungen auf die wettbewerbsrechtliche Abmahnpraxis, vor allem in Bezug auf Verstöße gegen Informationspflichten im Internet.
Im folgenden Beitrag von Rechtsanwalt David Geßner, LL.M. soll auf einige für die Praxis besonders relevante Neuerungen eingegangen werden.
Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstandes“ für Verstöße im Internet
Eine der wohl umstrittensten Änderungen betrifft zunächst die prozessuale Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen bei Rechtsverletzungen im Internet. Bislang konnten Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Wettbewerbsverstößen oder Klagen gemäß § 32 ZPO bei jedem Gericht anhängig gemacht werden, in dessen Bezirk das angegriffene Verhalten stattgefunden hat. Dies wird in der Praxis als „fliegender Gerichtsstand“ bezeichnet. Übertragen auf Rechtsverletzungen im Internet konnte damit im Prinzip an jedem Gericht Deutschlands geklagt werden, da eine Internetseite schließlich von überall aus abrufbar ist. Der Abmahnende konnte sich also dasjenige Gericht aussuchen, welches seiner Rechtsauffassung am wohlsten gesonnen war.
Dies hat sich nun geändert. Zwar wurde mit der Gesetzesänderung der Deliktsgerichtsstand nach § 32 ZPO in Wettbewerbssachen nicht gänzlich abgeschafft. Die Neuregelung der örtlichen Zuständigkeit in § 14 II UWG nF. betrifft ausdrücklich Rechtsverstöße im Internet. In diesen Fällen ist nur noch das Gericht am Sitz des Beklagten zuständig.
Weitgehende Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstandes“ nicht unumstritten
Die Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstandes“ für Verstöße im Internet ist nicht unumstritten. Denn infolge des fliegenden Gerichtsstands hatte sich über die Jahre eine Konzentration wettbewerbsrechtlicher Verfahren bei einigen wenigen Landgerichten (u.a. Hamburg, Berlin, Köln und München) herausgebildet, deren Expertise und Spezialkenntnisse in den komplexeren Gebieten des Wettbewerbsrechts landesweit geschätzt wird. Durch die Gesetzesänderung werden sich künftig auch weniger erfahrene und spezialisierte Landgerichte mit diesen Spezialmaterien befassen müssen, was die Gefahr von Qualitätseinbußen bei der Spruchpraxis mit sich bringt.
Zu begrüßen ist allerdings, dass § 14 Abs. 3 UWG nF. eine Verordnungsermächtigung für Zuständigkeitskonzentrationen in Wettbewerbsstreitsachen vorsieht. Konzentrationen sind daher auf Grundlage entsprechender Staatsverträge weiterhin möglich.
Anforderungen an den Abmahnenden bald deutlich strenger
Eine weitere wesentliche (wenngleich weniger einschneidende) Änderung betrifft den Kreis der Anspruchsberechtigten. Mitbewerber sind gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes künftig nur noch dann zur Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen berechtigt, wenn sie „Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreiben“. Erforderlich ist dabei ein tatsächliches Konkurrenzverhältnis zum Abgemahnten. Unternehmen, die faktisch nicht am Markt teilnehmen oder deren Geschäftszweck ausschließlich darin besteht, Mitbewerber kostenpflichtig abzumahnen, verlieren damit ihre Aktivlegitimation. Betroffen sind zB. Unternehmer, die meist nur zum Schein einige wenige Waren zu überteuerten Preisen auf Internetportalen anbieten, nur um als Mitbewerber zu gelten. Der Abmahnende muss ein tatsächliches Konkurrenzverhältnis künftig nachweisen.
Schwierigkeiten bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen
Auch wenn die Neuregelung hier durchaus zu begrüßen ist, ergeben sich mit Blick auf die unbestimmten Rechtsbegriffe „nicht unerheblichem Maße“ und „nicht nur gelegentlich“ Schwierigkeiten, da diese stets auslegungsbedürftig sind. Hier wird es künftig auf die Rechtsprechung ankommen, diese Begrifflichkeiten mit Leben zu füllen. Denn gerade Marktneulingen wie Startups wird es oft schwerfallen, den Nachweis für einen „nicht unerheblichen“ Waren- oder Dienstleistungsvertrieb zu erbringen. Zumindest ist es nach der Gesetzesbegründung nicht erforderlich, dass ein Unternehmen konkrete Umsatzzahlen oder eine Steuerberaterbescheinigung vorlegt.
Vereine und Wirtschaftsverbände müssen künftig registriert sein
Für Vereine und Wirtschaftsverbände wird künftig gefordert, dass eine erhebliche Zahl von Unternehmern desselben Markts vertreten und in einer vom Justizministerium geführten Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände registriert sind. Die Anforderungen für die Aufnahme in diese Liste sind zwar verhältnismäßig streng:
- Vereine und Wirtschaftsverbände müssen mindestens 75 Mitgliedsunternehmen vorweisen
- Der Verbandszweck zur Förderung des Wettbewerbs muss durch ausreichende personelle, sachliche und finanzielle Mittel sichergestellt sein und
- Mitglieder dürfen keine Zuwendungen aus dem Verbandsvermögen erhalten
Allerdings erfüllen die meisten bekannten Verbände bereits entsprechende Qualifikationen, so dass die Gesetzesänderung an dieser Stelle wohl nur wenig praktische Auswirkungen haben wird.
Vorgaben bei Wirtschaftsverbänden erst ab 01.12.2021
Auch tritt die Neuregelung bezüglich der Klagebefugnis der Wirtschaftsverbände erst am 01.12.2021 in Kraft. Vereine und Wirtschaftsverbände können ihre Eintragung bis dahin nachholen und verlieren daher nicht bereits jetzt ihre Aktivlegitimation.
Regelungen zum Rechtsmissbrauch
Die UWG-Reform sieht ferner eine Verschärfung des Missbrauchsverbots vor. Für die Missbräuchlichkeit einer Abmahnung gilt danach in bestimmten Fällen eine gesetzliche Vermutung. Eingefügt wurden gemäß § 8 c II UWG nF. sieben Regelbeispiele, die im Wesentlichen die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen zum Abmahnmissbrauch kodifizieren, etwa wenn ein Mitbewerber „eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift“ geltend macht, oder, wenn in der Abmahnung der Streitwert unangemessen hoch angesetzt oder eine überhöhte Vertragsstrafe gefordert oder vereinbart wird.
Gesetzliche Vermutung im Einzelfall noch unklar
Auch hier ist die Gesetzesänderung nicht ganz unproblematisch. Denn wie hoch der Streitwert oder eine Vertragsstrafe anzusetzen sind, ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig und lässt sich daher nicht pauschal festlegen. Zudem kann es durchaus vorkommen, dass der Abmahnende ggf. sogar zurecht in mehreren Fällen Verstöße gegen die gleiche Rechtsvorschrift abmahnt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann der Abmahnende die gesetzliche Vermutung jedoch im Einzelfall entkräften.
Formelle Anforderungen an die Abmahnung
Hinsichtlich der Form der Abmahnung muss der Abmahnende gemäß § 13 Abs. 2 UWG Angaben zu seiner Identität, zur konkreten Rechtsverletzung, zum geforderten Kostenersatz und zu seiner Anspruchsberechtigung machen. Da diese Angaben jedoch ohnehin der gängigen Praxis bei Abmahnungen entsprechen, sind die zu erwartenden Auswirkungen auf die Praxis eher überschaubar, wenngleich die Vorschrift den Abmahnenden zu größerer Sorgfalt zwingt.
Kein Abmahnkostenersatz bei Verstößen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien
Entspricht eine Abmahnung nicht den gesetzlichen Vorgaben, so entfällt in Zukunft die Kostenersatzpflicht des Abgemahnten.
Besonders durchgreifend und praxisrelevant ist jedoch, dass bei der Abmahnung eines Mitbewerbers der Anspruch auf Abmahnkostenersatz gem. § 13 Abs. 4 UWG nF. gänzlich ausscheidet, soweit es sich Verstoß gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet handelt. Gleiches gilt für Verstöße gegen Datenschutzrecht durch ein Unternehmen oder einen gewerblichen Verein mit weniger als 250 Mitarbeitern. Zu beachten ist hier, dass größere Unternehmen mit 250 Mitarbeitern oder mehr weiterhin Abmahnkosten des Mitbewerbers wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO erstatten müssen.
Intention des Gesetzgebers
Sinn und Zweck der Neuregelung war es insbesondere, Abmahnungen bei Bagatellverstößen im Internet wie Verletzungen der Impressumspflicht (§ 5 TMG), der Informationspflichten im Fernabsatzrecht und der Pflicht zur Widerrufsbelehrung weniger lukrativ zu machen. Denn diese Verstöße konnten durch automatisierte Programme (sog. „Crawler“) einfach festgestellt werden, was in der Vergangenheit zu massenhaften Abmahnungen gegenüber Online-Händlern führte. Auch sollte einer befürchteten Abmahnwelle wegen Verstößen gegen die DS-GVO effektiv begegnet werden. Allerdings ist festzuhalten, dass die mit Einführung der DS-GVO befürchtete Abmahnwelle bislang ausgeblieben ist.
Begriff der Informations- und Kennzeichnungspflichten noch unbestimmt
Welche weiteren Informations- und Kennzeichnungspflichten im Einzelnen von § 13 Abs. 4 nF. UWG erfasst sind, lässt sich der Vorschrift jedoch nicht entnehmen. Ausgenommen sollen hier Warnpflichten sowie die grundsätzliche Pflicht zur Kennzeichnung geschäftlicher Handlungen sein. Dies ergibt sich jedoch erst bei einem Blick in die Gesetzesbegründung, sodass die genaue Auslegung von § 13 Abs. 4 nF. UWG wohl künftig die Gerichte beschäftigen wird.
Ausschluss der Einforderung und Vereinbarkeit von Vertragsstrafen
Neben dem Abmahnkostenersatz ist auch die Einforderung und Vereinbarung von Vertragsstrafen von einer Neuregelung betroffen. Gemäß § 13 a Abs. 2 UWG können Mitbewerber künftig keine Vertragsstrafen gegenüber kleinen Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern bei Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet mehr geltend machen. Da jedoch eine Abmahnung naturgemäß auf die Vereinbarung einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung zur Verhinderung künftiger Rechtsverstöße gerichtet ist, ist im Anwendungsbereich von § 13 a Abs. 2 UWG eine Abmahnung durch Mitbewerber faktisch ausgeschlossen.
Begrenzung der Höhe der Vertragsstrafe bei kleinen Unternehmen
Zugleich wurde bei allen übrigen Verstößen eine Höchstgrenze für Vertragsstrafen von 1.000 EUR festgelegt, wenn es sich beim Abgemahnten um ein Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern handelt und „die Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in nur unerheblichem Maße beeinträchtigt“.
Wurde mit der Abmahnung eine unangemessen hohe Vertragsstrafe angesetzt, kann sie zukünftig zudem durch ein Gericht auf eine angemessene Höhe reduziert werden. War dies früher aufgrund von § 348 HGB nicht möglich, ist dies gemäß § 13a Abs.4 und 5 UWG nunmehr ausdrücklich zulässig.
Ansprüche des Abgemahnten bei unberechtigter oder unzulässiger Abmahnung
Ist die Abmahnung unberechtigt oder entspricht sie nicht den Anforderungen des § 13 II UWG nF, hat der Abgemahnte gemäß § 13 Abs. 5 UWG einen Anspruch auf Ersatz der Rechtsverteidigungskosten. Neu ist hieran, dass der Anspruch des Abgemahnten nicht nur bei missbräuchlichen Abmahnungen eingreift, sondern auch bei sachlich berechtigten Abmahnungen, soweit diese an Fehlern in formeller Hinsicht leiden. Dies kennt man bereits aus dem Urheberrecht und wird dazu führen, dass künftig Abmahnungen weitaus sauberer und transparenter ausgestaltet sein werden.
Fazit
Auch wenn die Gesetzesnovellierung zur Verhinderung missbräuchlicher Abmahnungen insbesondere aus Sicht vieler Online-Händler durchaus zu begrüßen ist, ist zu erwarten, dass sie die Rechtspraxis künftig beschäftigen wird. So ist die erhoffte Rechtssicherheit aufgrund der zum Teil auslegungsbedürftigen Begrifflichkeiten ausgeblieben. Insbesondere mit Blick auf die zahlreichen Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet, die im Gesetz unerwähnt bleiben, besteht Klärungsbedarf. Wie sich das Gesetz in der wettbewerbsrechtlichen Praxis bewährt, bleibt daher abzuwarten.
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