Spiegel darf Artikel „Vögeln, fördern, feuern“ über Julian Reichelt wieder veröffentlichen
Kürzlich urteilte das Hanseatische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 13.01.2022 (Az.: 7 W 148/21), dass der „Spiegel“-Verlag den Artikel mit der Überschrift „Vögeln, fördern, feuern“ über den ehemaligen Chefredakteur der BILD-Zeitung, Julian Reichelt, wieder veröffentlichen darf und äußerte sich hierbei zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine geänderte Berichterstattung nicht mehr unter einen früheren Verbotstenor fällt.
Vorgeschichte im Streit Julian Reichelt vs. Spiegel
Der ehemalige Chefredakteur der „BILD“-Zeitung (Springer-Verlag), Julian Reichelt, hat durch die Vorwürfe von Mobbing, Drogen- und Machtmissbrauch auf sich aufmerksam gemacht. Aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe leitete die „BILD“ ein internes Compliance-Verfahren ein, das mit einer Freistellung begann und mit einer Entlassung des ehemaligen Chefredakteurs durch den Medienkonzern Axel Springer endete.
Der „Spiegel“ berichtete in seinem Artikel „Vögeln, fördern, feuern“ über den Verdacht, dass Julian Reichelt seine Stellung gegenüber Frauen missbraucht und Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt habe. Gegen diese Verdachtsberichterstattung des „Spiegels“ wehrte sich der ehemalige Chefredakteur Julian Reichelt seit März 2021. Er nahm den „Spiegel“ auf Unterlassung in Anspruch und verlangte, dass der Artikel künftig nicht mehr der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird.
Eine persönliche Stellungnahme des ehemaligen Chefredakteurs der „Bild“-Zeitung, Julian Reichelt, holte der „Spiegel“ vor der Veröffentlichung nicht ein. Daraufhin erwirkte Julian Reichelt eine einstweilige Verfügung, die eine weitere Veröffentlichung des Artikels verbot. Diese wurde mit der fehlenden Stellungnahme begründet.
Daraufhin ergänzte der „Spiegel“ den Artikel um die Stellungnahme von Julian Reich und veröffentlichte diesen.
Darin sah Julian Reichelt einen Verstoß gegen den Verbotstenor einer zuvor ergangenen einstweiligen Verfügung.
Das LG Hamburg gab Julian Reichelt recht
Das Landgericht Hamburg gab Julian Reichelt in erster Instanz mit Beschluss vom 17.05.2021 (Az.: 324 O 162/21) recht.
Die Klage stützte der ehemalige Chefredakteur auf eine Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG).
Verdachtsberichterstattungen und wann sie zulässig sind
Bei dem Artikel des „Spiegel“ mit dem Titel „Vögeln, fördern, feuern“ handle es sich um eine sog. Verdachtsberichterstattung. Um die kollidierenden Verfassungsgüter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen und der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) hinreichend in Einklang zu bringen, ist eine Verdachtsberichterstattung im Wesentlichen nur unter vier Voraussetzungen zulässig:
- Der Bericht bedarf eines Mindestbestandes an Beweistatsachen
- Der Bericht darf keine Vorverurteilung beinhalten
- Der Vorfall muss von gravierendem Gewicht sein (öffentliches Interesse an einer Berichterstattung)
- Es muss zuvor eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt werden
Während der „Spiegel“ sich darauf berief, dass der Artikel iRd einstweiligen Verfügung nur aufgrund der fehlenden Stellungnahme verboten wurde, argumentierte Julian Reichelt (ehem. Chefredakteur der „BILD“-Zeitung), dass auch diese Art der Veröffentlichung vom Verbotstenor der zuvor erwirkten einstweiligen Verfügung erfasst sei und gegen diesen verstoße.
LG Hamburg: Trotz späterer Stellungnahme Veröffentlichung des Artikels verboten
Das Landgericht Hamburg gab Julian Reichelt recht. Der Artikel sei trotz der Ergänzung um die später eingeholte Stellungnahme verboten und falle unter den Verbotstenor der einstweiligen Verfügung.
Wegen des Verstoßes wurde vom LG Hamburg (Beschl. V. 15.11.2021, Az. 324 O 162/21) gegen den „Spiegel“ ein Ordnungsgeld i.H.v. 2.000 EUR verhängt.
Maßgeblich sei die sog. „Kerntheorie“
Das Landgericht begründete seine Entscheidung vor allem damit, dass der Verbotstenor der einstweiligen Verfügung auch eine spätere Berichterstattung mit ergänzender Stellungnahme erfasse. Insoweit gelte die sog. „Kerntheorie“. Nach dieser sei nicht nur die identische Berichterstattung verboten, sondern zudem auch solche nachträglichen Abwandlungen, die ebenfalls dem Charakter der Rechtsverletzung weiterhin Ausdruck verleihen.
Die spätere Ergänzung des Artikels durch die Stellungnahme ändere insoweit nichts daran, dass im Kern noch immer über den Vorwurf des Fehlverhaltens und den Missbrauch seiner Macht gegenüber Frauen berichtet wird.
OLG Hamburg: Geänderter Beitrag stellt keinen Verstoß gegen einstweilige Verfügung dar
Nachdem der „Spiegel“ in erster Instanz verlor, entschied das Hanseatische Oberlandesgericht mit Beschluss v. 13.01.2022 (Az.: 7 W 148/21) zu Gunsten des Nachrichtenmagazins und hob das Urteil des Landgerichts Hamburg im Beschwerdeverfahren auf. Damit entschied das OLG Hamburg im Sinne der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).
Hohe Anforderungen wegen der Bedeutung der Pressefreiheit
Aufgrund der Bedeutung der Pressefreiheit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei besonders sorgfältig zu prüfen, ob eine abgeänderte Berichterstattung unter den Verbotstenor falle oder nicht.
Wenn die geänderte Berichterstattung bei einer der vier Voraussetzungen der zulässigen Verdachtsberichterstattung (s.o.) wesentlich von der ursprünglich verbotenen Berichterstattung abweicht, sei regelmäßig nicht mehr von einem Verstoß gegen den Verbotstenor auszugehen.
Hervorzuheben ist dabei, dass sich die Entscheidung des OLG Hamburg nicht auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Verdachtsberichterstattung als solche, sondern nur auf die Frage bezieht, unter welchen Voraussetzungen eine geänderte Berichterstattung unter einen früheren Verbotstenor fällt.
Fazit
Medienkonzerne sollten sich bei der Verdachtsberichterstattung an die vier o.g. Voraussetzungen, insbesondere die Stellungnahme, halten.
Ob eine abgeänderte Berichterstattung (z.B. wegen Ergänzung um eine Stellungnahme) unter den Verbotstenor einer einstweiligen Verfügung fällt, ist unter besonderer Berücksichtigung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) zu beurteilen.
Zugunsten der Pressefreiheit ist dies daher abzulehnen, wenn die veränderte Berichterstattung in wesentlichen Punkten der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung von der ursprünglichen Berichterstattung abweicht (z.B. durch Ergänzung um eine Stellungnahme).
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