OLG Frankfurt a.M.: Auch die Deutung einer die Coronamaßnahmen kritisierenden Aussage fällt unter die Meinungsfreiheit
Das OLG Frankfurt a.M. hatte sich in einem äußerungsrechtlichen Verfahren mit der durchaus spannenden Frage zu beschäftigen, ob auch die Deutung einer Aussage selbst von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst ist (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.02.2022 – Az. 16 U 87/21).
Welcher Sachverhalt lag zugrunde?
Geklagt hatte eine sogenannte „Querdenkerin“, die sich in einer die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Corona-Maßnahmen kritisierenden Initiative engagiert. Ausgangspunkt war ein von der Klägerin verfasstes Gedicht, dass sie unter dem Titel „Denunzianten“ veröffentlichte. Unter anderem äußerte die Klägerin in dem Gedicht, dass „manch einer“, der „genüsslich denunzierte“ sich vor einem „Drei-Mann-Standgericht“ wiederfand, dessen Urteil „Tod durch Erschießen“ lautete (vgl. hierzu die Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 10.02.2022, Nr. 13/2022).
Die Beklagte ist hingegen in einer Gegeninitiative engagiert und veröffentlichte auf dem Sozialen Netzwerk Facebook einen Post, indem es hieß „Darin fordert [die Klägerin] sinngemäß für in ihren Augen Denunzianten ein knappes 3-Mann-Standgericht mit dem einzig richtigen Urteil „Tod durch Erschießen“ (Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. v. 10.02.2022, Nr. 13/2022)
Gegen diesen Facebook-Post versuchte sich die Klägerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935, 940 ZPO) zu wehren. Insoweit begehrt die Klägerin von der Beklagten die Unterlassung einer solchen Äußerung. Die Klägerin rügt insoweit die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) und begehrt Unterlassung.
Was schützt die Meinungsfreiheit allgemein?
Die Meinungsfreiheit ist verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gilt es jedoch, eine grundlegende Unterscheidung vorzunehmen. Zu unterscheiden ist insoweit zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen.
Werturteile meinen solche Äußerungen, die von Elementen der Stellungnahme und des Dafür- oder Dagegenhaltens, also der Beziehung des Äußernden zum Inhalt der Aussage, geprägt sind.
Gegen diese können sich Betroffene regelmäßig nicht mit Hilfe des Unterlassungsanspruchs zur Wehr setzen, da solche Äußerungen im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung unabdingbar sind. Keine Meinungen stellen hingegen Äußerungen dar, die erkennbar nur dazu dienen, die betroffene Person in der öffentlichen Meinungsbildung herabzusetzen und zu diffamieren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine etwaige Auseinandersetzung in der Sache fehlt. Eine Abwägung ist bei Vorliegen einer Schmähkritik entbehrlich (BVerfG, Beschl. v. 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, Rn. 18). Zur Beurteilung ob eine Schmähkritik vorliegt, müssen jedoch insbesondere Anlass und Kontext der Äußerung berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 93, 266 (303)).
Hiervon abzugrenzen sind Tatsachenbehauptungen. Tatsachenbehauptungen sind Äußerungen über Vorgänge der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich, also objektiv überprüfbar sind (vgl. Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 14 Rn. 14.4). Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist damit die Beweisbarkeit. Auch diese werden grundsätzlich von der Meinungsfreiheit erfasst, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind (vgl. BVerfGE 61, 1 (8)). Dies ist bei unwahren Tatsachenbehauptungen nicht der Fall.
Bei wahren Tatsachenbehauptungen hingegen ist eine Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verletzten und der Meinungsfreiheit des sich Äußernden notwendig. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wie zum Beispiel der Wortlaut, der Kontext und der äußerliche Rahmen der Äußerung (vgl. BVerfGE 7, 198 (212)).
So entschied das OLG Frankfurt a.M.
Bereits das LG Hanau wies in der Vorinstanz den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück (Beschl. v. 28.04.2021 – Az. 2 O 391/21). Dieser Auffassung schloss sich nunmehr auch das OLG Frankfurt am Main an und lehnte einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ab und gab der Meinungsfreiheit damit den Vorzug.
Deutungen sind auch Meinungen
Ob eine Meinung oder Tatsachenbehauptung vorliegt, muss im Rahmen einer Gesamtabwägung ermittelt werden, wobei stets das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums maßgeblich sei.
Nach Ansicht des Gerichts war es für den unvoreingenommenen Leser des Facebook-Posts ersichtlich, dass die Verfasserin lediglich ihr Verständnis von dem Gedicht wiedergegeben hat und damit nur eine „Deutung“ vorgenommen hat, nicht jedoch eine dem Beweis zugängliche Behauptung vorliegt.
Deutung des Gedichts als Beitrag zum Meinungskampf
In der vom Gericht vorgenommenen Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (in Form des Ehrschutzes) und der Meinungsfreiheit betonte das Gericht die Bedeutung von solchen Deutungen für den geistigen Meinungskampf. Bei der Coronapandemie und den staatlichen Maßnahmen handle es sich um eine „die Öffentlichkeit wesentlich berührende[n] Frage“ (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.02.2022 – Az. 16 U 87/21; vgl. Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. vom 10.02.2022, Nr. 13/2022). Insofern stellte das OLG Frankfurt a.M. klar, dass ein gegenseitiges Aufgreifen und Deuten von Äußerungen der „Gegenseite“ während der Coronapandemie wesentlicher Bestandteil des geistigen Meinungskampfes ist.
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