Erfolg gegen Twitter vor der Pressekammer des LG Berlin
Unser Medienrechtsteam konnte einen presserechtlichen Erfolg für unseren Mandanten gegen den Social-Media-Riesen „Twitter“ verzeichnen. Mit Urteil vom 01.11.2022 (Az. 27 O 201/21) hat die Pressekammer unter anderem einen Unterlassungsanspruch unmittelbar aus Art. 17 DSGVO bestätigt.
Der Sachverhalt
Über unseren Mandanten wurde im Zusammenhang mit einer Sprengstoffexplosion medial im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung, u.a. durch große Medienhäuser wie Axel Springer, über eine mögliche Tatbeteiligung unseres Mandanten berichtet. Auf Twitter wurde die Berichterstattung durch zahlreiche Nutzer aufgegriffen und unser Mandant wurde namentlich genannt. Zudem wurde dessen Bildnis verbreitet. Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen unseren Mandanten haben sich indes nicht ansatzweise bestätigt. Insgesamt handelte es sich um 27 Twitter-Beiträge.
Anonymität der Nutzer als Problem der Rechtsdurchsetzung
In Konstellationen wie der vorliegenden stehen die in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzten Betroffenen häufig vor dem Problem, dass die Benutzer von Twitter und anderen sozialen Netzwerken unter einem Pseudonym und ohne Angaben zu Namen und Anschrift agieren können. Dies erschwert die Rechtsdurchsetzung, weil Ansprüche nur sehr schwer unmittelbar gegen die Verletzer durchgesetzt werden können.
Um rechtsverletzenden Beiträge im Internet und auf sozialen Netzwerken entgegentreten zu können, bleibt damit nur die sogenannte Störerhaftung. Nach dieser haftet der Anbieter von sozialen Netzwerken in gleicher Weise auf Unterlassung wie der Verletzer selbst, wenn es sich um eine offensichtliche Rechtsverletzung handelt und der Anbieter von dem Betroffenen auf diese Rechtsverletzung hingewiesen worden ist.
Erst wenn der Host-Provider nicht handelt, verletzt dieser seine Prüfpflichten und kann sodann vom Verletzten auf Unterlassung bzw. Löschung in Anspruch genommen werden.
Urteil des LG Berlin (Az. 27 O 201/21)
Die Pressekammer des Landgerichts Berlin hat in ihrem Urteil gleich mehrere spannende Aspekte aufgegriffen, die im Folgenden näher dargelegt werden sollen.
Ansprüche ergeben sich aus DSGVO und nicht aus dem nationalen Recht
Zunächst äußerte sich das LG Berlin zu der Frage, ob auf den vorliegenden Fall die DSGVO anwendbar ist. Dem könnte insoweit Art. 85 Abs. 1 und 2 DSGVO (sog. „Öffnungsklausel“) entgegenstehen. Nach dieser bringen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Datenverarbeitung zu journalistischen Zwecken, in Einklang.
Nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO sehen die Mitgliedstaaten für die Verarbeitung von Daten zu journalistischen Zwecken abweichende Regelungen vor, die im nationalen Recht zu finden sind. Hierzu gehören sowohl der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch bei Persönlichkeitsrechtsverletzung aus §§ 1004 Abs. 1, 823 BGB (analog) i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG als auch Ansprüche aus dem KunstUrhG bei Verletzung des Rechts am eigenen Bild.
Maßgeblich für die Frage des anwendbaren Rechts ist somit, ob Twitter die Datenverarbeitung zu journalistischen Zwecken vornimmt.
Dies lehnt das LG Berlin entschieden ab und greift hierbei auf die für Bewertungsportale entwickelten Grundsätze zurück:
„Der Anwendungsbereich der DSGVO ist eröffnet. Insbesondere stellt das Betreiben eines Dienstes, der Nutzer:innen die Möglichkeit gibt, eigene Beiträge zu erstellen, fremde Beiträge zu kommentieren oder sich zu informieren, keine eigenen journalistisch-redaktionellen Gestaltung dar.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt die technische Erfassung von bewertenden Drittbeiträgen, die automatisierte, wenn auch strukturierte, Zusammenstellung von Bewertungen Dritter und das Errechnen von Durchschnitts- und Gesamtnoten für die Annahme einer eigenen journalistischen Gestaltung alleine nicht.“
Mehr als das biete nach Ansicht des LG Berlin Twitter nicht an, sodass diese für Bewertungsportale geschaffene Rechtsprechung auch auf Twitter Anwendung findet.
Mithin findet auch gegen Twitter die DSGVO Anwendung.
Aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO folgt auch ein unmittelbarer Unterlassungsanspruch
Ferner nimmt das LG Berlin einen Unterlassungsanspruch gegen Twitter an und stützt diesen auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO. Ob sich aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO neben einem Löschungsanspruch auch ein Unterlassungsanspruch ergeben kann, war lange Zeit umstritten. Dies vor allem deshalb, weil der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 DSGVO alleine von der Löschung spricht.
Einige Gerichte haben einen Unterlassungsanspruch unmittelbar aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO hergeleitet (z.B. OLG Frankfurt, Urt. v. 06.09.2018 – Az. 16 U 193/17). Begründet wurde dies damit, dass Art. 17 DSGVO mit einem Löschungsanspruch ein qualitatives „Mehr“ enthalte, welches auch den Unterlassungsanspruch als „Minus“ hierzu enthalte bzw. erfasse.
Mit anderen Worten: Wenn schon das stärkere Recht auf Löschung enthalten sei, dann müsse doch auch erst recht ein Anspruch auf Unterlassung bestehen.
Andere Gerichte haben hingegen auf das nationale (hier: deutsche) Recht abgestellt, so zum Beispiel das OLG Köln mit Urteil vom 10.10.2019 (Az. I-15 U 39/19).
Im Jahr 2020 schaffte der Bundesgerichtshof erstmals höchstrichterlich Klarheit über diese Streitfrage, als er mit Urteil vom 27.07.2020 (Az. VI ZR 405/18) entschied, dass sich unmittelbar aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO neben einem Löschungs- auch ein Unterlassungsanspruch ergebe.
Dieser Auffassung schloss sich nun auch die Pressekammer des Landgerichts Berlin an und stellt in ihrem Urteil mit Verweis auf die BGH-Rechtsprechung fest:
„Neben der Löschung kann sich aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO auch ein Unterlassungsanspruch ergeben“.
Die Verfasser der Tweets können sich nicht auf das Laienprivileg berufen
Schließlich ging das LG Berlin noch auf die Frage ein, ob sich im vorliegenden Fall die Verfasser der streitgegenständlichen Tweets auf das sogenannte „Laienprivileg“ berufen können oder nicht.
Was ist das sog. „Laienprivileg“?
Das sogenannte „Laienprivileg“ wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits 1991 (BVerfG, Beschl. v. 09.10.1991 – 1 BvR456/95, juris) entwickelt. Nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen unterfallen allein bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit zweifelsfrei bereits im Zeitpunkt der Äußerung feststeht, nicht mehr dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit sich erst später herausstellt, fallen nicht ohne weiteres und unter jeglicher Betrachtungsweise aus dem Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.
Zu berücksichtigen sei jedoch, dass auch an den Einzelnen hinsichtlich schwerwiegender Tatsachenbehauptungen Sorgfaltspflichten gestellt werden dürfen. Diese sind jedoch nicht zu überspannen.
Vielmehr darf ein Laie sich insbesondere mit Blick auf Geschehnisse, die öffentlich diskutiert werden, auch auf die Berichterstattung der Medien verlassen, ohne selbst genaue Nachforschungen betreiben zu müssen.
Vorliegend keine Berufung auf das Laienprivileg
Vorliegend war eine Berufung auf dieses sog. „Laienprivileg“ jedoch nicht möglich, da unter anderem der volle Name unseres Mandanten zuvor nicht in der Medienberichterstattung genannt wurde.
So heißt es im Urteil des LG Berlin:
„Diese Grundsätze finden vorliegend keine Anwendung, da der vollständige Name des Klägers – anders als in den Tweets Nr. (...) – in der medialen Berichterstattung nicht veröffentlicht wurde.“
Fazit
Mit der Entscheidung des Landgerichts Berlin hat sich das Gericht der Rechtsprechung des BGH hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO angeschlossen und einmal mehr die Betroffenenrechte bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Beiträgen auf Twitter (und Social Media Plattformen generell) gestärkt. Sämtliche Tweets wurden untersagt. Wir konnten somit vollständig für unseren Mandanten obsiegen.
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