Ungewollt bei Twitch: Wenn man sich plötzlich in einem Live-Stream wiederfindet
Immer häufiger gehen YouTuber*innen und andere Influencer*innen „live“. Anders als bei herkömmlichen Foto- und Videobeiträgen auf sozialen Netzwerken wie YouTube, Facebook und Instagram bietet das Live-Streaming den Vorteil, dass die Fans ganz nah dran sind und ihr Vorbild in einer bestimmten Situation „begleiten“ können.
Die zusätzliche Chatfunktion ermöglicht den Zuschauer*innen in Echtzeit mit ihren Idolen in Kontakt zu treten, wodurch ein Gefühl enger Verbundenheit erzeugt wird. Beim Streaming ergeben sich jedoch auch einige rechtliche Fallstricke, welche dieser Beitrag aufzeigen soll.
Einführung
Der Live-Stream nimmt eine immer größer werdende Rolle im Social-Media-Gefüge ein. Neben den bereits angedeuteten Vorzügen für die Fans, bringen Live-Streams natürlich auch erhebliche Vorteile für Influencer*innen mit sich. Wer glauben mag, dass diese aus rein gemeinnützigen Gründen veranstaltet werden, der irrt. Live-Streams dienen regelmäßig dem Ausbau der digitalen Reichweite oder werden zum Zwecke der Eigen- oder Fremdwerbung benutzt.
Zwar haben mittlerweile alle großen sozialen Netzwerke auch eine „Live“-Funktion. Vorreiter im Bereich Live-Streaming war und ist jedoch die Plattform „Twitch“.
Besondere Bekanntheit erlangte diese im Bereich des Gamings und wurde von Streamer*innen früher vor allem dazu genutzt, sich mit Zuschauer*innen live beim Videospielen auszutauschen.
Mittlerweile ist Twitch jedoch viel mehr als nur eine reine Gaming Plattform: Creator*innen sprechen über persönliche Themen, filmen sich im Alltag und geben Einblicke in ihr Privatleben – und das alles in Echtzeit. In der von Twitch als IRL – „In Real Life-Streaming“ bezeichneten Kategorie werden jeden Tag zahlreiche Inhalte veröffentlicht und dabei tausendfach geklickt.
Was sich zunächst erst einmal nach großer Unterhaltung anhört, bringt medienrechtlich jedoch auch einige Probleme mit sich. So können beim Live-Streaming durch die Videoproduktion und deren öffentliche Wiedergabe sehr schnell Rechte Dritter verletzt werden, wenn diese beispielsweise ungewollt gezeigt werden.
Die zunächst nur live ausgestrahlten Videos werden von den Influencer*innen häufig auch noch einmal aufbereitet und auf anderen Plattformen, wie YouTube, veröffentlicht. Diese Praxis führt meist dazu, dass etwaige Rechtsverletzungen durch die Weiterverbreitung noch perpetuiert werden.
Recht am eigenen Bild
Häufig werden Streams nicht in den eigenen vier Wänden, sondern vor allem draußen in der Öffentlichkeit produziert. So nehmen Streamer*innen ihre Fans zum Beispiel mit zum Spazierengehen, Shoppen oder zum Essen in ein Restaurant. Vielfach kommt es dabei zu Situationen, in denen Bildnisse anderer Personen gezeigt werden, ohne dass diese verpixelt oder in anderer Weise unkenntlich gemacht werden.
Ob in solch gelagerten Fällen das Recht am eigenen Bild (§§ 22, 23 KunstUrhG) als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt ist, muss anhand der Umstände des Einzelfalls ermittelt und bewertet werden.
Wichtig ist jedoch hervorzuheben, dass seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wegen der Öffnungsklausel des Art. 85 Abs. 1, Abs. 2 DSGVO das KunstUrhG nur dann Anspruchsgrundlage sein kann, wenn der Zweck des Streams journalistischer, wissenschaftlicher oder künstlerischer Natur ist (vgl. Art. 85 Abs. 2 DSGVO). Ob dies der Fall ist, muss anhand des Inhalts und des Zwecks des jeweiligen Streams beurteilt werden.
Erfolgt die Datenverarbeitung zu anderen, also insbesondere nicht journalistischen oder künstlerischen Zwecken, so ist nicht auf das KunstUrhG, sondern auf die DSGVO abzustellen (hierzu später mehr).
Erkennbarkeit/Identifizierbarkeit
Für das Recht am eigenen Bild i.S.d. § 22 KunstUrhG ist es stets erforderlich, dass die betroffene Person erkennbar bzw. identifizierbar ist. Dabei muss der/die Betroffene nicht tatsächlich durch einen Dritten identifiziert werden. Es genügt, dass aufgrund der Art und Weise der Abbildung die Möglichkeit besteht, dass die betroffene Person durch Dritte (ggf. auch enge Familienangehörige und Verwandte) erkannt werden würde.
Grundsätzliches Einwilligungserfordernis, § 22 KunstUrhG
Insoweit gilt der Grundsatz, dass Bildnisse eines Dritten gem. § 22 KunstUrhG nur mit dessen Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen.
Sind also auch andere Personen neben den Streamer*innen im Video zu sehen, müssten sich diese grundsätzlich eine vorherige Zustimmung der Betroffenen einholen. Eine solche Einwilligung muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch stillschweigend erfolgen. Dabei ist entscheidend, ob aus Sicht des Streamers anhand der Gesamtumstände davon ausgegangen werden kann, dass die abgebildete Person die Anfertigung der Aufnahme in Kenntnis ihres Zweckes gebilligt hat.
Dies wird beim Live-Streaming jedoch regelmäßig nicht der Fall sein, da die Betroffenen häufig gar keine Kenntnis davon erlangen, dass sie überhaupt gefilmt werden oder Teil eines Streams sind.
Und selbst wenn Influencer*innen darauf hinweisen, dass sie gerade streamen, ist es für eine vorherige Zustimmung oftmals zu spät. Denn die Personen sind dann meist schon Teil der Videoaufnahme und ihr Bildnis via Live-Stream bereits öffentlich zur Schau gestellt.
Ausnahmen vom Einwilligungserfordernis, § 23 KunstUrhG
Vom Einwilligungserfordernis bestehen jedoch Ausnahmen, welche in § 23 Abs. 1 KunstUrhG geregelt sind.
Danach ist eine Einwilligung ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn es sich um
- Bildnisse aus der Zeitgeschichte handelt,
- die Personen nur als Beiwerk zur Örtlichkeit erscheinen,
- es sich um Bildnisse von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen handelt oder
- die Bildnisse auf Bestellung angefertigt wurden und die Verbreitung/Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.
Für Live-Streams dürfte der Ausschlussgrund des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG von Bedeutung sein, da Influencer häufig mit Prominenten gleichzusetzen sind und deshalb ein Bildnis der Zeitgeschichte vorliegen könnte. Ein einfacher Stream, zum Beispiel von einem Zoobesuch, würde hierfür jedoch nicht genügen, handelt es sich dabei regelmäßig nicht um ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung.
Wenn sich der/die Influencer*in nicht selbst filmt, sondern nur die Umgebung, ließe sich zudem an den Ausschlussgrund des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG denken. Hierbei käme es darauf an, ob die betroffene Person lediglich „Beiwerk“ zur Landschaft bzw. Örtlichkeit ist, also eine untergeordnete Rolle einnimmt und das Personenbildnis auch entfallen könnte, ohne dass sich Gegenstand und Charakter der Aufnahme verändern würden.
Eine Einwilligung von im Hintergrund nur flüchtig zu sehenden, vorbeilaufenden Passanten wird also regelmäßig nicht erforderlich sein. Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Person aus Sicht des Betrachters zum Blickfang wird und in den Fokus der Aufnahme gelangt ist.
Widerruflichkeit einer zuvor erteilten Einwilligung
Auch wenn das KunstUrhG dies nicht ausdrücklich vorsieht, ist es mittlerweile anerkannt, dass eine einmal erteilte Einwilligung in die Verbreitung und Zurschaustellung eines Bildnisses durch die betroffene Person auch widerrufen werden kann.
Um Willkür und Rechtsunsicherheit vorzubeugen, werden dafür jedoch verschiedene Einschränkungen und Voraussetzungen in Literatur und Rechtsprechung gefordert.
Während einige das Vorliegen eines wichtigen Grundes für erforderlich halten, plädieren andere für die Notwendigkeit, dass sich die innere Einstellung geändert bzw. verändert hat. Wieder andere fordern das Vorliegen „gewichtiger Gründe“. Darüber, dass eine Einwilligung grundsätzlich widerrufen werden kann, herrscht jedoch Einigkeit.
Bei nicht künstlerischer bzw. journalistischer Datenverarbeitung: DSGVO
Sofern der Live-Stream und damit die Datenverarbeitung nicht journalistische, wissenschaftliche oder künstlerische Zwecke verfolgt, ist nicht das KunstUrhG, sondern die DSGVO das maßgebende Gesetz.
Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung: Einwilligung!
Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a) DSGVO müssen personenbezogene Daten stets rechtmäßig und nach Treu und Glauben verarbeitet werden. Gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) DSGVO ist die Verarbeitung nur dann rechtmäßig, wenn unter anderem die Einwilligung der betroffenen Person zu der Datenverarbeitung vorliegt.
Damit ist auch nach der DSGVO – ggf. als lex specialis – eine Einwilligung der betroffenen Personen erforderlich. Werden betroffene Personen im Stream gezeigt, so wurde zuvor regemäßig keine Einwilligung eingeholt.
In der Vergangenheit konnten wir bereits erfolgreich Ansprüche für betroffene Personen durchsetzen.
Ansprüche
Je nach dem, welche Zwecke der Stream verfolgt und ob das KunstUrhG oder die DSGVO anwendbar ist, ergeben sich für die betroffene Person verschiedene Ansprüche.
Ansprüche aus DSGVO
Aus der DSGVO ergeben sich insbesondere Löschungs-, Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche.
Löschungsanspruch, Art. 17 DSGVO
Erfolgte die Datenverarbeitung in rechtswidriger Art und Weise, so stehen den betroffenen Personen in erster Linie Löschungsansprüche aus Art. 17 DSGVO zu.
Unterlassungsanspruch
Ob die betroffene Person bei einem Datenschutzverstoß auch einen Unterlassungsanspruch unmittelbar aus der DSGVO herleiten kann, war lange umstritten. Teilweise wurde dies abgelehnt, weil die DSGVO eben anders als das nationale Recht keinen Unterlassungsanspruch ausdrücklich vorsah. Mittlerweile haben sich jedoch einige Oberlandesgerichte und sogar der BGH mit dieser Frage auseinandergesetzt.
So stellte der BGH (u.a. mit Urt. v. 12.10.2021 – VI ZR 488/19) fest, dass unmittelbar aus Art. 17 DSGVO nicht nur ein Löschungs- sondern daneben auch ein Unterlassungsanspruch folge.
Auskunftsanspruch
Daneben stehen den betroffenen Personen nach Art. 15 DSGVO auch Auskunftsansprüche zu, welche sich u.a. auf den Verarbeitungszweck und die gespeicherten personenbezogenen Daten u.v.m. beziehen.
Schadensersatz
Schließlich gewährt Art. 82 Abs. 1 DSGVO den betroffenen Personen auch das Recht auf Schadensersatz. Anspruchsgegner ist hierbei immer der für die Datenverarbeitung „Verantwortliche“. Ersatzfähig sind dabei sowohl materielle als auch immaterielle Schadenspositionen. Ob es eine Erheblichkeitsschwelle gibt und wo diese anzulegen ist, ist immer wieder Streitpunkt in gerichtlichen Verfahren.
Ansprüche aus KunstUrhG
Auch bei der Verletzung des KunstUrhG stehen der betroffenen Person unter Umständen Beseitigungs-, Unterlassungs- sowie Geldentschädigungsansprüche zu.
Beseitigungsanspruch
Zunächst stehen den Betroffenen Ansprüche auf Beseitigung der Rechtsverletzung zur Seite. Der Anspruch ergibt sich vor allem aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i.V.m. §§ 823 ff. BGB und ist verschuldensunabhängig. Einzige Voraussetzung ist die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am eigenen Bild.
Zur Erfüllung des Beseitigungsanspruchs kann entweder das Bild/Video vollständig gelöscht oder die betroffene Person unkenntlich gemacht werden.
Unterlassungsanspruch
Ferner besteht ein Anspruch auf Unterlassung, welcher sich grundsätzlich aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. §§ 823 ff. BGB ergibt. Auch dieser Anspruch ist verschuldensunabhängig. Da sich der Anspruch jedoch auf ein künftiges Nicht-Tun bezieht, ist neben der Rechtsgutsverletzung auch eine Wiederholungsgefahr erforderlich. Diese wird jedoch grundsätzlich durch die Erstbegehung indiziert und kann in der Regel nur durch die Abgabe einer hinreichend bestimmten, unbedingten und strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt werden. Diese wird durch eine außergerichtliche Abmahnung gefordert.
Geldentschädigung
Unter Umständen kann auch ein Anspruch auf Geldentschädigung bestehen (§ 823 ff. BGB). Mit diesem Anspruch ist die Rechtsprechung jedoch zurückhaltend und lässt diesen nur in Fällen zu, in denen eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt. Dies ist aufgrund aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Schmerzensgeld soll Betroffenen nur dann zugesprochen werden, wenn eine Wiedergutmachung nicht auf anderem Wege (durch Beseitigung und/oder Unterlassung) möglich ist.
Fazit
Live-Streams bürgen damit jedenfalls dann erhebliche rechtliche Probleme, wenn sie außerhalb der eigenen vier Wände aufgenommen werden und damit die Möglichkeit besteht, dass das Bildnis Dritter ohne oder gegen deren Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt wird. Besonders schutzbedürftig sind hierbei minderjährige Personen.
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