Arbeitsrechtliche Fragen in der Corona-Krise – ein Überblick
Ein Beitrag zu arbeitsrechtlichen Fragen in Zeiten der Corona-Krise von Rechtsanwalt David Geßner, LL.M. und Valeria Podmogilni (wissenschaftliche Mitarbeiterin)
Arbeitsrechtliche Fragen kommen infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise immer häufiger vor. Seit dem 17. März sind Schulen und Kitas geschlossen. Universitäten und Forschungseinrichtungen gehen in Präsenznotbetrieb über. Kultur- und Sportveranstaltungen sind abgesagt. Viele Beschäftigte befürchten Lohneinbußen und haben Sorgen um die Betreuung ihrer Kinder.
Was können Arbeitnehmer tun, wenn sie Kinder betreuen müssen und nicht zur Arbeit erscheinen können. Was müssen sie zum Verdienstausfall wegen Krankschreibung oder Quarantäne beachten. Viele Arbeitnehmer wissen nicht welche Rechte und Pflichten sie in solchen Ausnahmesituationen gegenüber dem Arbeitgeber haben und auch Arbeitgeber stehen vor rechtlichen Herausforderungen.
Im Folgenden wurden einige der arbeitsrechtlich wichtigsten Fragen und Antworten im Zusammenhang mit dem Coronavirus zusammengefasst:
Darf man aus Angst davor infiziert zu werden zuhause bleiben?
Erscheint ein Arbeitnehmer ohne Rücksprache mit dem Arbeitgeber nicht zur Arbeit, stellt das grundsätzlich eine Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers da. Der Arbeitgeber ist unter normalen Umständen berechtigt, Abmahnungen oder sogar eine fristlose Kündigung auszusprechen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitnehmer ein Recht zur Leistungsverweigerung hat.
Die derzeitige abstrakte Bedrohungslage rechtfertigt zum aktuellen Zeitpunkt kein Leistungsverweigerungsrecht der Mitarbeiter. Sollte die Bedrohungslage über das abstrakte Maß hinausgehen und wird das mit dem Umstand kombiniert, dass der Arbeitgeber seinen Fürsorgepflichten nicht mehr nachkommen kann, so könnte im Einzelfall die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts in Betracht kommen.
Was gilt für Arbeitnehmer, denen die Arbeit wegen der Kinderbetreuung nicht möglich ist?
Es stellt sich zunächst die Frage, ob Arbeitnehmer Urlaub nehmen oder sich krankmelden müssen, wenn sie wegen der Kinderbetreuung nicht arbeiten können. Hat der Arbeitnehmer betreuungspflichtige Kinder, muss er zunächst versuchen die Kinderbetreuung anderweitig sicherzustellen. Sollte das nicht möglich sein, besteht ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers, weil die Leistungserfüllung unzumutbar (§ 275 Abs. 3 BGB) ist.
In einem solchen Fall darf der Arbeitnehmer seinem Arbeitsplatz fernbleiben und ist dafür entschuldigt. Weil der Beschäftigte von seiner Leistungserbringungspflicht frei wird, muss er auch keinen Urlaub nehmen. Eine Krankmeldung des Arbeitnehmers ist nur im Krankheitsfall möglich. Ist der Arbeitnehmer nicht selbst krank, hat aber kranke betreuungspflichtige Kinder kann er sich “kinderkrank” melden, andernfalls ist eine Krankmeldung rechtlich nicht zulässig.
Bei Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers entfällt Zahlungsanspruch gegenüber Arbeitgeber
Zu beachten ist allerdings, dass bei einem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers der Anspruch auf Gegenleistung des Arbeitgebers grundsätzlich untergeht, sodass kein Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts bestehen kann. Nimmt der Arbeitnehmer dagegen Urlaub in Anspruch, erhält er Urlaubsgeld. Eine Ausnahme von dem Grundsatz kann nur unter den engen Voraussetzungen des § 616 BGB gelten. Ein solcher Entgeltanspruch kann sich für eine “verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit” ergeben.
Welche Dauer der Entgeltfortzahlung damit gemeint ist, ist allerdings unklar. So können im Einzelfall eine Woche oder auch nur drei Tage angemessen sein. In den meisten Arbeitsverträgen wird die Norm bereits ausgeschlossen sein. Es ist daher zweckmäßig, zunächst das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen und eine pragmatische Lösung, zum Beispiel in Form von Home-Office, eines alternativen Arbeitszeitmodells oder auch des Einsatzes von Arbeitszeitkonten zu vereinbaren.
Allerdings hat der Arbeitnehmer gemäß dem neu eingeführten § 56 Abs. 1 a IfSG einen Entschädigungsanspruch wegen des Verdienstausfalls, der durch Schließung von Schulen und Kitas und die daraus resultierende Betreuung der Kinder entsteht.
Haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Arbeit im Home Office?
Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitnehmers seine Arbeit von zuhause aus (im Home Office) zu machen besteht nicht. Auch in diesem Fall würde ein Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten verletzen, wenn er zuhause bleibt. Das kann auch den Wegfall des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach sich ziehen. Die Parteien können sich einvernehmlich darauf verständigen, dass ein Teil der Mitarbeiter seiner Arbeit von zuhause aus nachgeht.
Eine einseitige Anordnung des Arbeitgebers ist somit auch nicht möglich. Home Office setzt immer das Einverständnis sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers voraus. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Telearbeit empfiehlt es sich, sofern nicht bereits im Arbeitsvertrag geregelt, eine schriftliche Vereinbarung zu treffen und die datenschutzrechtlichen Vorgaben zu beachten.
Welche Vorsorgemaßnahmen muss der Arbeitgeber ergreifen, um Arbeitnehmer vor Covid-19 zu schützen?
Der Arbeitgeber hat grundsätzlich die Pflicht (§ 3 Abs. 1 ArbSchG) die Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit seiner Arbeitnehmer zu beurteilen und entsprechende präventive Maßnahmen zu treffen. Er hat somit eine Fürsorgepflicht, Arbeitnehmer vor Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit zu schützen. Der Umfang dieser Verpflichtung kann nicht abstrakt festgelegt werden und beurteilt sich nach den Umständen im konkreten Einzelfall.
Im Rahmen einer Pandemieplanung müssen vom Arbeitgeber weitergehende Maßnahmen ermittelt und durchgeführt werden. Der Hinweis zum Befolgen der Hygieneregeln und das regelmäßige Aufstellen von Desinfektionsmitteln sollte bereits im eigenen Interesse der Arbeitgeber sein. Zudem sollten der nationale Pandemieplan und die offiziellen Hinweise der Gesundheitsbehörden beachtet werden.
Gesteigerte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei konkreten Verdachtsfällen
Sobald erste konkrete Verdachtsfälle auf oder gar eine bestätigte Erkrankung mit Covid-19 dem Arbeitgeber bekannt werden, dürfte sich die Fürsorgepflicht dahingehend konkretisieren, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Ausbreitung verhindern. Das bedeutet, der Arbeitgeber muss objektiv arbeitsunfähige Mitarbeiter von der Arbeit fernhalten und seine Beschäftigten auch anweisen nach Hause zu gehen. Dabei kann der Arbeitgeber auf alternative Arbeitsmodelle umsteigen, um eine Fortführung des Betriebs im Falle einer Betriebsstilllegung zu ermöglichen.
Hat ein mit Coronavirus infizierter Mitarbeiter Anspruch auf Lohnfortzahlung?
Die Infektion mit dem Coronavirus wird zunächst wie ein gewöhnlicher Krankheitsfall behandelt. Ist ein Mitarbeiter infolge der Erkrankung an Covid-19 arbeitsunfähig gemeldet, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für einen Zeitraum von sechs Wochen (§ 3 EfzG). Danach haben gesetzlich Krankenversicherte grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld.
Anwendbarkeit des Infektionsschutzgesetzes
Unterliegt der Arbeitnehmer dagegen einem behördlichen Tätigkeitsverbot (§ 31, § 42 IfSG) oder sogar einer Quarantäne (§ 30 IfSG), so richtet sich der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des Nettoentgelts für den Zeitraum der Isolierung gemäß § 56 Abs. 5 IfSG gegen den Arbeitgeber. Die Dauer beträgt auch hier sechs Wochen. Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall.
Ein Verdienstausfall liegt zum Beispiel dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer bereits vor der angeordneten Quarantäne arbeitsunfähig war oder wenn ein sonstiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Ein sonstiger Anspruch kann § 616 BGB sein, etwa wenn der Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt, aber nicht arbeitsunfähig ist. Hier sind Arbeitgeber im Vorteil, die § 616 BGB arbeitsvertraglich ausgeschlossen haben.
Beruht der Verdienstausfall auf der Schließung von Schulen und Kitas, weil Arbeitnehmer Ihre Kinder betreuen müssen, sieht der neu eingeführte § 56 Abs. 1a IfSG einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers vor.
Wörtlich heißt es wie folgt:
Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde.
Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt.Nach Ablauf der sechs Wochen stellen betroffene Arbeitnehmer einen Antrag auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe des Krankengeldes bei der zuständigen Behörde. Der Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 5 IfSG ist ein öffentlicher-rechtlicher Anspruch gegen den Staat und greift somit nur als äußerstes Mittel.
Wann muss die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegen?
Im Falle einer Krankheit muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber grundsätzlich sofort informieren. Dauert der Krankheitszustand länger als drei Kalendertage an, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, spätestens am vierten Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit samt voraussichtlicher Dauer dem Arbeitgeber vorzulegen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann auch in elektronischer Form übermittelt werden. Ist aufgrund Überlastung der Ärzte und überfüllter Praxen die Bescheinigung nicht sofort zu bekommen, kann der Arbeitnehmer diese auch zu einem späteren Zeitpunkt nachreichen. Das zunächst nicht fortgezahlte Entgelt ist vom Arbeitgeber nachzuzahlen.
Wird mein Gehalt auch weiterhin ausbezahlt, wenn der Betrieb schließen muss? Kann der Arbeitgeber in dem Fall Zwangsurlaub anordnen?
Im Falle einer Betriebsstilllegung stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber weiterhin zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist. Nach der sog. Betriebsrisikolehre (§ 615 S. 3 BGB) ist der Arbeitgeber dann zur Lohnfortzahlung verpflichtet, wenn er ohne eigenes Verschulden den Arbeitnehmer aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann. Ein Fall des Betriebsrisikos ist wohl auch dann anzunehmen, wenn ein Unternehmen aufgrund einer behördlichen Verfügung stillgelegt wird.
In einer Stilllegungsverfügung liegt ein dringender betrieblicher Grund, der den Arbeitgeber berechtigt Zwangsurlaub – also die einseitige Urlaubsordnung des Arbeitgebers – zu verhängen. Möglicherweise hat der Arbeitgeber in einem solchen Fall Erstattungsansprüche gegen den Staat.
Kann der Arbeitgeber in der Corona-Krise kündigen?
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich jederzeit möglich. Eine Kündigung des Arbeitgebers bemisst sich aber auch in der Corona-Krise nach den gleichen rechtlichen Maßstäben wie jede andere Kündigung. In Betracht kommen personenbedingte und betriebsbedingte Kündigungen wegen Krankheit oder Wegfall des Arbeitsplatzes.
Allerdings sind die Kündigungen oft unzulässig und damit unwirksam. So muss der Arbeitgeber bevor er eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht alle Maßnahmen ausschöpfen. Dazu gehört auch die Anordnung der Kurzarbeit. Eine Kündigung sollte daher immer rechtlich überprüft werden.
Kann der Arbeitnehmer bereits genehmigten Urlaub verlegen?
Mit einer Verlegung eines bereits beantragten und genehmigten Urlaubs muss der Arbeitgeber einverstanden sein. Ein Anspruch auf Verlegung besteht nicht. Der Arbeitgeber hat aber grundsätzlich die Wünsche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen, solange keine betrieblichen oder sonstigen Gründe entgegenstehen. Allerdings darf der Arbeitgeber bereits genehmigten Urlaub nur zurücknehmen, wenn dafür außergewöhnliche betriebliche Gründe bestehen. Das wird in der aktuellen Corona-Krise wohl der Fall sein, Arbeitnehmer sollten daher ein Gespräch mit ihrem Arbeitgeber suchen.
Welche Ansprüche bestehen für den Arbeitgeber wegen Verdienstausfall in der Corona-Krise?
Muss der Arbeitgeber einen Mitarbeiter in Quarantäne weiterhin vergüten, kann er die ausbezahlte Entschädigung vom Staat zurückfordern. Außerdem kann der Arbeitgeber Kurzarbeit anordnen und so Personalkosten sparen. Um liquide zu bleiben, können Unternehmen bei Finanzbehörden gemäß § 222 AO (Abgabenordnung) eine Steuerstundung beantragen. Unternehmen, die durch die Corona Pandemie in große finanzielle Schwierigkeiten geraten, können zudem Sofortkredite zu günstigen Konditionen erhalten (zum Beispiel von der KfW: Kreditanstalt für Wiederaufbau).
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