„Schmähkritik“: mündliche Verhandlung im Klageverfahren gegen Böhmermann steht bevor – Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht
Am Mittwoch den 2. November 2016 findet die mündliche Verhandlung im Unterlassungsrechtsstreit zwischen Jan Böhmermann und Erdogan vor dem Landgericht Hamburg statt. Der Ausgang des Rechtsstreits wird mit Spannung erwartet. Zahlreiche Medienvertreter werden vor Ort sein. Erdogan hat Jan Böhmermann wegen des Vorwurfs einer Persönlichkeitsrechtsverletzung auf Unterlassung verklagt.
Zur Vorgeschichte
Im April 2016 und in den darauffolgenden Monaten waren das Thema Jan Böhmermann und dessen Schmähgedicht „Schmähkritik“ in aller Munde. Es wurde kontrovers darüber diskutiert, wie weit Satire und die Kunstfreiheit in Deutschland gehen dürfen und wo die Grenzen von Äußerungen liegen. Das türkische Staatsoberhaupt Erdogan, welches Gegenstand der Satire Böhmermanns geworden war, hatte sich gegen ihn betreffende aus seiner Sicht ehrverletzende Äußerungen gewehrt und Strafantrag gegen Böhmermann wegen Beleidigung gestellt. Daneben hat Erdogan Böhmermann auf zivilrechtlichem Wege auf Unterlassung der Äußerungen aus dem Schmähgedicht in Anspruch genommen und beim Landgericht Hamburg Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Die beantragte Verfügung wurde am 17.05.2016 hinsichtlich eines großen Teils des Gedichts erlassen, da die Äußerungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht Erdogans, insbesondere aufgrund von Schmähkritik und Diffamierungen verletzten. Im Fall einer Zuwiderhandlung (Wiederholung der verbotenen Äußerungen) droht Böhmermann ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.
Als Rechtsanwalt für Medienrecht wurde ich wiederholt von den Medien zum Fall Böhmermann interviewt.
Interview vom 11.04.2016 auf N24
Interview vom 13.04.2016 auf N24
Interview vom 15.04.2016 auf N24
Böhmermann hat einstweilige Verfügung nicht akzeptiert
Jan Böhmermann und sein Rechtsanwalt haben die einstweilige Verfügung jedoch nicht akzeptiert, da das Landgericht schwerwiegende Fehler bei seiner Entscheidungsfindung gemacht habe und den Gesamtkontext, in welchem das Gedicht gestanden habe, außer Acht gelassen habe. Daher wurde Erdogan aufgefordert, die im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens gestellten Anträge, denen durch einstweilige Verfügung stattgegeben wurde, im Hauptsacheverfahren durch Klageerhebung nochmals zu stellen. Hintergrund ist, dass eine einstweilige Verfügung im Eilverfahren lediglich vorläufige Wirkung hat, wenn sie nicht anerkannt wird, so dass der Antragsteller, der seine Ansprüche durchsetzen möchte, eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache (Klageverfahren) herbeiführen muss. In diesem Zuge versucht Erdogan nun auch die übrigen Passagen des Schmähgedichts durch seine Unterlassungsklage verbieten zu lassen. Die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg findet am 02.11.2016 statt. Eine Entscheidung ist jedoch an diesem Tag noch nicht zu erwarten.
Strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann eingestellt – kein Vorsatz nachweisbar
Neben dem zivilrechtlichen Verfahren gegen Böhmermann lief bis vor einigen Wochen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, welches in den Medien vordergründig behandelt wurde, da gerade die Frage, ob die Bundesregierung eine Ermächtigung zur Strafverfolgung nach 103 StGB erteilt (Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter) erteilen durfte, kontrovers diskutiert wurde. Das Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung durch Inhalte des Schmähgedichts wurde zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft Mainz gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sei bereits zweifelhaft, ob das von Böhmermann vorgetragene Gedicht „Schmähkritik“ den objektiven Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes nach §§ 103, 185 StGB erfülle. In jedem Fall habe man Böhmermann in Bezug auf den Tatbestand der Beleidigung keinen Vorsatz nachweisen können. Diesen benötigt man jedoch für eine strafbare Beleidigung.
Objektiver Tatbestand der Beleidigung aufgrund der Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit fraglich – keine Schmähkritik
Die Staatsanwaltschaft Mainz hat zwar offen gelassen, ob der objektive Tatbestand der Beleidigung aus ihrer Sicht erfüllt ist und in dem Schmähgedicht unter der Berücksichtigung des Gesamtkontextes die persönliche Ehre Erdogans verletzt worden ist. Gleichwohl hat sie sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob es sich vorliegend um sogenannte Schmähkritik handelt oder ob das Schmähgedicht von der Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die leitende Oberstaatsanwältin bezog zu dieser Frage Stellung und gab im Rahmen einer Interessenabwägung zwischen der Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Erdogans auf der anderen Seite der Kunst- und Meinungsfreiheit den Vorrang. Die Staatsanwaltschaft stellte klar, dass man von Schmähkritik nur in engen Grenzen ausgehen könne, da hierdurch die Meinungsäußerungsfreiheit eingeschränkt wird mit der Folge, dass Beleidigungstatbestände sehr schnell erfüllt wären. Bejaht man das Vorliegen von Schmähkritik, kommt man gar nicht erst zu einer im Einzelfall dringend erforderlichen umfassenden Interessenabwägung zwischen den einzelnen Grundrechten.
Daher könne man von Schmähkritik nur dann ausgehen, wenn die Herabwürdigung und Diffamierung einer Person eindeutig im Vordergrund steht und die sachliche Auseinandersetzung mit einem Thema nicht erfolgt ist. Vorliegend sei für den Rezipienten und den verständigen Zuhörer (Empfängerhorizont) ohne weiteres ersichtlich, dass es sich um eine Satiresendung, folglich um einen satirischen Beitrag handelte, welcher in typischer satirischer Art und Weise verzerrt und übertrieben dargestellt wurde. Niemand würde ernstlich davon ausgehen, dass Böhmermann über Erdogan die aus dem Schmähgedicht hervorgehenden Dinge behaupten würde. Im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Satire sei die Entstehungsgeschichte, die zeitgeschichtliche Einbindung und die konkrete gestalterische Darstellung des Beitrages in der Satire-Sendung zu berücksichtigen. Ohne eine abschließende Bewertung abzugeben, tendierte die Staatsanwaltschaft folglich dazu, das Interesse am Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Erdogans überwiegen zu lassen.
Kein Vorsatz einer Beleidigung oder Persönlichkeitsrechtsverletzung nachweisbar
Die Staatsanwaltschaft musste letztlich auch nicht darüber entscheiden, ob es sich vorliegend um Schmähkritik oder zulässige Satire handelt, da Jan Böhmermann jedenfalls nicht nachgewiesen werden konnte, dass er mit Wissen und Wollen, somit mit Vorsatz, die persönliche Ehre Erdogans verletzte. Jan Böhmermann habe sich dahingehend eingelassen, dass es seinen Äußerungen im Schmähgedicht an jeglicher Ernstlichkeit fehle und er lediglich in übertriebener und von der Person Erdogans losgelösten Art und Weise aufzeigen wollte, was Satire darf und was nicht. Keinesfalls habe er Erdogan persönlich beleidigen wollen. Dies sei für den Zuhörer und Zuschauer ohne weiteres erkennbar gewesen. Die Aufmachung des Satirebeitrages so die Staatsanwaltschaft, stütze die Einlassung Böhmermanns. Es handele sich um eine Anhäufung absurder Übertreibungen, welchen jeglicher Realitätsbezug fehlen würde. Ein ernstlicher Angriff auf die Person Erdogans sei daher nicht zu erkennen.
Da ein Vorsatz nicht nachzuweisen war, war das Strafverfahren bereits deshalb mangels hinreichenden Tatverdachtes in Bezug auf den Tatbestand der Beleidigung einzustellen.
Aktuell zivilrechtliches Klageverfahren vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung aller Äußerungen aus dem Schmähgedicht
Da Jan Böhmermann die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg nicht akzeptiert hat und Erdogan aufgefordert hat, seine Ansprüche auf dem Klagewege im Hauptsacheverfahren geltend zu machen, Erdogan auf der anderen Seite daran interessiert es, dass sämtliche Äußerungen aus dem Schmähgedicht verboten werden, wird nunmehr am morgigen Tage vor dem Landgericht Hamburg nochmals über die Zulässigkeit des Schmähgedichts verhandelt. Mit einer Entscheidung des Gerichts am Tag der mündlichen Verhandlung ist jedoch nicht zu rechnen. Vielmehr wird es einen separaten Verkündungstermin geben.
Wie wird es weitergehen?
Nachdem das Strafverfahren gegen Jan Böhmermann mangels hinreichenden Tatverdachts von der Staatsanwaltschaft Mainz eingestellt wurde, hatte Erdogan Beschwerde gegen diese Entscheidung bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz eingelegt, welche zurückgewiesen wurde.
In zivilrechtlicher Hinsicht wird es voraussichtlich so sein, dass das Landgericht Hamburg den Inhalt der einstweiligen Verfügung auch im Klageverfahren bestätigt, da sich der zugrunde liegende Sachverhalt nicht geändert hat und keine neue Tatsachengrundlage vorliegt. Es ist relativ unwahrscheinlich, dass die Kammer von ihrer rechtlichen Würdigung des Falles abweicht. Sowohl Böhmermann als auch Erdogan haben jedoch im Falle des Unterliegens die Möglichkeit, Berufung beim Oberlandesgericht einzureichen, welches sodann eine eigene rechtliche Würdigung der Angelegenheit vornehmen wird. Nicht selten kommt es im Rahmen des Instanzenzuges zu abweichenden Entscheidungen. Schließlich gibt es sodann auch nach der Berufungsinstanz noch die Möglichkeit, seine Rechte vor dem Bundesgerichtshof im Rahmen der Revisionsinstanz geltend zu machen. Offen bleibt zudem, ob Böhmermann im Falle des Unterliegens Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einreicht und die Verletzung seiner Grundrechte geltend macht.
Fazit
Die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Frage, ob es sich bei dem Schmähgedicht und der Art seiner Darstellung um zulässige Satire oder um rechtswidrige Schmähkritik handelt, zeigt, wie umstritten es zwischen Juristen ist, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht Erdogans vorliegend verletzt ist oder nicht und wie schwierig die Abgrenzung zwischen noch zulässiger Kunst und Satire und ehrverletzenden Äußerungen tatsächlich ist. Daher darf man gespannt sein, wie die Gerichte in Sachen Jan Böhmermann urteilen werden. Aus meiner Sicht ist die bisherige Entscheidung des Landgerichts Hamburg jedoch falsch, da meines Erachtens das Gedicht, welches zusammen mit der satirischen Gesamtdarstellung ein einheitliches Satirewerk darstellt, nicht in Einzelteile zerpflückt werden darf. Dies hat das Landgericht jedoch getan, indem es einzelne Äußerungen als zulässig und andere Äußerungen als unzulässig herausgepickt hat. Damit hat das Gericht das Gedicht losgelöst von der satirischen Gesamtdarstellung bewertet.
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