Landgericht Berlin – Beleidigungen gegenüber Künast sind zulässig
Das Landgericht Berlin, genauer die auf Äußerungsrecht spezialisierte 27. Zivilkammer (Pressekammer) des Landgerichts, hatte sich jüngst mit der Frage der Zulässigkeit zahlreicher beleidigender Äußerungen auf Facebook auseinanderzusetzen. Da die Pressekammer sich ausschließlich mit äußerungsrechtlichen Fragen beschäftigt, ist dies grundsätzlich nichts Neues. Der Fall hat jedoch für bundesweites Aufsehen und Empören gesorgt, da das Landgericht durch seine Entscheidung vom 9.9.2019 (Az.: 27 AR 17/19) sogenannter Hatespeech im Internet Tür und Tor geöffnet hat.
Künast wehrte sich gegen beleidigende Facebook-Kommentare
Renate Künast wehrte sich gegen diffamierende Hasskommentare auf Facebook, welche im Zusammenhang mit einer im Jahre 1986 getätigten Äußerung verbreitet wurden. Künast versuchte, im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens Auskunftsansprüche gegen Facebook durchzusetzen, um an die hinter den schmähenden Kommentaren stehenden Personen zu gelangen und diese dann auf Unterlassung in Anspruch nehmen zu können.
Unbekannte, für die Politikerin als Antragstellerin nicht identifizierbare Facebook-Nutzer kommentierten einen Facebook-Post, der ein Foto und ein Zitat der Antragstellerin aus einem Online-Artikel in der Welt vom 24.05.2015 unter der Überschrift „Grüne-Politikerin X gerät in Erklärungsnot“ aufgreift. Aufhänger dieses Artikels ist ein Bericht der „Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin von Bündnis90/Die Grünen zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ und einer darin aufgeführten Äußerung der Antragstellerin während einer Debatte des Berliner Abgeordnetenhauses im Jahres 1986.
In dem hier maßgeblichen Absatz des „Welt-Beitrages“ heißt es:
„Während eine grüne Abgeordnete über häusliche Gewalt spricht, stellt ein CDU-Abgeordneter die Zwischenfrage, wie die Rednerin zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern solle aufgehoben werden. Doch statt der Rednerin ruft, laut Protokoll, X dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“ Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“
Der Postende hat daraus neben der Abbildung der Antragstellerin die folgende Äußerung gemacht
„Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“
Unterschieben falscher Äußerungen führte zu Hasskommentaren
Zahlreiche Nutzer reagierten hierauf mit Schmähungen in Richtung Renate Künast. So wurde sie mit Worten wie „Stück Scheisse“, „Krank im Kopf, „altes grünes Drecksschwein“, „Geisteskrank“, „kranke Frau“, „Schlampe“, „Gehirn Amputiert“, ,,Drecks Fotze“, „Sondermüll“, „Alte perverse Dreckssau“ beschimpft. Die Äußerungen resultierten daraus, dass der Antragstellerin ein falsches Zitat untergeschoben wurde. Die Äußerung „…ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“ hatte sie nie getätigt.
Künast wollte Auskunft von Facebook
Da die Politikerin die Äußernden naturgemäß nicht kannte, machte sie Auskunftsansprüche gegen Facebook geltend. Künast begehrte Auskunft über die Daten der hinter den beleidigenden Kommentaren stehenden Nutzer, da die betreffenden Äußerungen die Tatbestände der §§ 185 ff. StGB erfüllen würden. Es handele sich um unwahre Tatsachenbehauptungen, die wider besseres Wissen geäußert worden seien und geeignet seien, sie verächtlich zu machen. Es sei unwahr, dass sie Geschlechtsverkehr zwischen Kindern und Erwachsenen billigen würde, solange keine Gewalt im Spiel sei. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Geschlechtsverkehr mit Kindern – ganz gleich ob mit oder ohne Gewalt – befürwortet. Sie habe mit ihrem Zwischenruf darauf aufmerksam machen wollen, dass der falsche und pauschale Vorwurf des CDU-Abgeordneten für die gerade stattfindende Debatte über häusliche Gewalt überhaupt keine Bewandtnis gehabt habe, da es bei dem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen um Gewaltfreiheit gegangen sei.
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin
Das Landgericht Berlin hatte sich nunmehr im einstweiligen Verfügungsverfahren mit der Frage zu beschäftigen, ob es sich bei den oben genannten Kommentaren der einzelnen Nutzer um Äußerungen handelt, welche den Tatbestand der §§ 185 ff. StGB erfüllen. Dann wäre ein Auskunftsanspruch gegen Facebook nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegeben gewesen.
Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs
Gemäß § 14 Abs. 3 TMG darf der Diensteanbieter Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtwidriger Inhalte, die von § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. Nach § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte solche, die den Tatbestand der §§ 86, 86 a, 89 a, 91,100 a, 111,126,129 bis 129 b, 130,131,140,166,184 b in Verbindung mit 184 d, 185 bis 187,201 a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuches erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.
LG Berlin: Hasskommentare über Renate Künast stellen keine Beleidigung dar
Die Pressekammer des Landgerichts Berlin war der Auffassung, dass die Äußerungen
„Stück Scheisse“, „Krank im Kopf, „altes grünes Drecksschwein“, „Geisteskrank“, „kranke Frau“, „Schlampe“, „Gehirn Amputiert“, Drecks Fotze“, „Sondermüll“, „Alte perverse Dreckssau“
im vorliegenden Fall keine Beleidigungen bzw. Schmähkritik darstellen würden. Vielmehr handele es sich um noch zulässige Meinungsäußerungen, welche von der Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1GG umfasst seien.
Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Schmähkritik
Grundsätzlich gewährt die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit Äußernden das Recht, ihre Meinung frei zu äußern und auch überspitzte Kritik anzubringen. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt allerdings nicht vorbehaltlos. Vielmehr hat der Äußernde auch die Grundrechte Dritter zu achten. Gerichte haben daher bei der Beurteilung beanstandeter Äußerungen eine Güterabwägung zwischen der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits vorzunehmen. Die persönliche Ehre ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches in den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verankert ist, auch wenn es bislang keine ausdrückliche gesetzliche Erwähnung findet.
Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist (vgl. BVerfGE 93, 266 [293] = NJW 1995, 3303). Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Äußernden auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen. Der Schutz der Meinungsfreiheit nimmt innerhalb der Verfassung somit eine wichtige Rolle ein.
Schmähkritik und Formalbeleidigung sind unzulässig
Von zulässigen Meinungsäußerungen abzugrenzen sind hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht ist in diesem Fall ausnahmsweise nicht erforderlich, weil die Meinungsfreiheit dann regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird.
Da eine Einordnung von Äußerungen als Schmähkritik dazu führt, dass eine Interessenabwägung ausscheidet und die Äußerungen per se unzulässig sind, wendet die Rechtsprechung strenge Prüfungsmaßstäbe an. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 [303] = NJW 1995, 3303; BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 2005, 3274).
Kommt es dem Äußernden nicht mehr auf die Auseinandersetzung in der Sache an, sondern möchte er die betroffene Person jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabsetzen und an den Pranger stellen, spricht man von Schmähkritik, welche unzulässig ist und Persönlichkeitsrechte verletzt.
LG Berlin: Polemik, aber keine Beleidigung
Das Landgericht Berlin hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass es sich bei sämtlichen Hasskommentaren in Richtung Künast um zulässige Meinungsäußerungen handele. Wörtlich ist den Entscheidungsgründen folgendes zu entnehmen:
Bei den Reaktionen hierauf handelt es sich sämtlichst um zulässige Meinungsäußerungen. Sie sind zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin selbst hat sich aber mit ihrem Zwischenruft, den sie bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt hat, zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert. Zudem muss sie als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen. Da alle Kommentare einen Sachbezug haben, stellen sie keine Diffamierungen der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.
Besonders irritierend waren sodann die weiteren Ausführungen, welche bundesweit für Empörung sorgte:
Der Kommentar „Drecks Fotze“ bewegt sich haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren. Weil das Thema, mit dem sie vor vielen Jahren durch ihren Zwischenruf an die Öffentlichkeit gegangen ist sich ebenfalls im sexuellen Bereich befindet und die damals von ihr durch den Zwischenruf aus der Sicht der Öffentlichkeit zumindest nicht kritisierte Forderung der Entpönalisierung des gewaltfreien Geschlechtsverkehrs mit Kindern erhebliches Empörungspotential in der Gesellschaft hat, ist die Kammer jedoch der Ansicht, dass die Antragstellerin als Politikerin sich auch sehr weit überzogene Kritik gefallen lassen muss. Dass mit der Aussage allein eine Diffamierung der Antragstellerin beabsichtigt ist, ohne Sachbezug zu der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung ist nicht feststellbar.
Kommentar zur Entscheidung des Landgerichts Berlin
Die Entscheidung der Richter der Pressekammer, welche wir aus zahlreichen Verfahren sehr gut kennen, ist aus unserer Sicht in weiten Teilen falsch und in äußerungsrechtlicher Hinsicht nur schwer nachvollziehbar. Sie sendet nicht nur falsche Signale in Richtung der Gesellschaft, sondern wendet die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und rechtswidriger Schmähkritik auch fehlerhaft an. Unsere Erfahrung ist, dass Meinungsäußerungen vom Landgericht Berlin nicht differenziert genug betrachtet und viel zu oft als per se zulässig erachtet werden. Die vorliegende Entscheidung ist grundlegend falsch.
Eindeutige Formalbeleidigung
Offenkundig handelt es sich insbesondere bei Begriffen wie „Drecksfotze“ und „Stück Scheiße“ um klassische Formalbeleidigungen, welche keinerlei sachliche Auseinandersetzung als Grundlage haben. Hier sollte die Antragstellerin schlichtweg auf übelste Art und Weise verunglimpft und herabgewürdigt werden. Es ist nicht verständlich, wie die Pressekammer der Auffassung sein konnte, die Äußerungen seien geradeso noch hinnehmbar und noch im Bereich des Zulässigen. Es ist schwer vorstellbar, welche Begriffe dann unzulässig sein sollten, da es keine schlimmeren Meinungsbekundungen über eine Person geben kann.
Auch verfängt es nicht, wenn das Landgericht meint, die Äußerungen seien deshalb zulässig gewesen, weil sie in einem ebenso sexualisierten Kontext gefallen seien. Dies würde bedeuten, dass selbst dann, wenn Frau Künast sich seinerzeit negativ über das streitgegenständliche Thema geäußert hätte, abfällige Äußerungen über ihre Person aus dem sexuellen Bereich erlaubt gewesen wären.
Wir gehen im Ergebnis davon aus, dass die Entscheidung jedenfalls in Teilen vom Kammergericht abgeändert wird.
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