OLG Hamburg: Böhmermanns Schmähgedicht bleibt weiterhin in Teilen verboten
Ein Beitrag zum Persönlichkeitsrecht von Rechtsanwalt David Geßner, LL.M. (IP), Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Pauline Zimmermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Am 15.05.2018 entschied das Oberlandesgericht Hamburg als Berufungsinstanz erneut über die rechtliche Qualifizierung des Schmähgedichts von Satiriker Jan Böhmermann, nachdem nicht nur dieser, sondern auch das türkische Staatsoberhaupt Erdogan Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des LG Hamburg einlegten.
Zur Vorgeschichte
Im April 2016 und in den darauffolgenden Monaten war das Thema Jan Böhmermann und dessen Schmähgedicht „Schmähkritik“, welches dieser in seiner Satire-Sendung „Neo Magazin Royale“ vorlas, um die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit aufzuzeigen, in aller Munde.
Im Zuge dessen wurde kontrovers darüber diskutiert, wie weit Satire und Kunstfreiheit in Deutschland gehen dürfen und wo die Grenzen kritischer Äußerungen unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen. Das türkische Staatsoberhaupt Erdogan, welches Gegenstand der Satire Böhmermanns geworden war, stellte Strafantrag gegen Böhmermann wegen Beleidigung.
Daneben hat Erdogan Böhmermann auf zivilrechtlichem Wege auf Unterlassung der Äußerungen aus dem Schmähgedicht in Anspruch genommen und beim Landgericht Hamburg zunächst im Eilverfahren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt und später auch Klage eingereicht. Die beantragte Verfügung wurde am 17.05.2016 hinsichtlich eines großen Teils des Gedichts erlassen und aufrechterhalten, da die Äußerungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht Erdogans, insbesondere aufgrund von Schmähkritik und Diffamierungen verletzt hätten.
Sowohl Böhmermann als auch Erdogan gingen in Berufung.
Entscheidung des OLG Hamburg
Sowohl die Berufung Böhmermanns gegen das landgerichtliche Urteil in Bezug auf die Unterlassungsklage Erdogans, als auch dessen Berufung, mit welcher er darauf abzielte, sämtliche persönliche Passagen des Gedichts untersagen zu lassen, wurden nun durch das OLG Hamburg zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht bestätigte damit die Entscheidung des LG Hamburg. Böhmermann wird es somit weiterhin untersagt bleiben, bestimmte Teile seines Schmähgedichts wiederzugeben.
Die Berufungsentscheidung des Gerichts beruht auf der Überzeugung, dass die strittigen Passagen schwere Diffamierungen darstellen, welche Bezüge zum Intimen und Sexuellen aufweisen und sich nicht, wie die anderen Verse des Gedichts, mit einem tatsächlichen Verhalten Erdogans kritisch auseinandersetzen.
OLG sieht Schmähkritik aufgrund von Herabwürdigung Erdogans als gegeben an
Die verbotenen Passagen des Gedichts dienen nach Auffassung des Gerichts alleine der Herabsetzung Erdogans und stellen damit einen Angriff auf seine persönliche Ehre dar, sodass sie aufgrund dessen rechtswidrig seien.
Diese Auffassung beruht auf einer Abwägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Erdogans mit der Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit Böhmermanns. Unabhängig von der Frage, ob sich Böhmermann überhaupt auf die Kunstfreiheit berufen kann, sei das Gedicht an den Wertmaßstäben der Meinungsfreiheit zu messen.
Die Äußerung von Kritik in Form von Satire sei umso stärker geschützt, je mehr diese einen Bezug zum Gegenstand der Kritik oder Verhaltensweisen der kritisierten Person aufweist. Auf der anderen Seite überwiegt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dann, wenn die Satire so weit von dem eigentlichen Gegenstand der Kritik entfernt ist, dass es sich um bloße Angriffe auf die persönliche Ehre einer Person handelt, welche den Zweck haben, diesen unter dem Schutz der Meinungs- bzw. Kunstfreiheit zu diffamieren.
Bei der rechtlichen Bewertung des Schmähgedichts Böhmermanns muss dieses auch nach Auffassung des Gerichts als Gesamtkonzept gesehen werden. Gesamtkonzept des Gedichts war es, innerhalb einer Satiresendung die Grenzen der Meinungs- bzw. Kunstfreiheit in Deutschland aufzuzeigen. Dies wurde während der Sendung und dem Verlesen des Gedichts auch mehrmals betont.
Nach Ansicht des OLG Hamburg sei es zudem möglich, lediglich einzelne Teile des Gedichts auf deren rechtliche Zulässigkeit zu überprüfen, da weder die Sendung als solche, noch das Gedicht einheitlich und damit untrennbar seien.
Einzelne Verse bzw. Äußerungen könnten dann verboten werden, wenn sie sich innerhalb des Gesamtkonzepts als unzulässig darstellen. Dabei ist zu beurteilen, ob diese darauf angelegt sind, Kritik an bestehenden Umständen bzw. Verhaltensweisen zu üben oder aber Erdogan in seiner persönlichen Ehre zu verletzen.
Gerade bei der Verwendung von herabsetzender Sprache aus dem Sexual- und Intimbereich, für welche der Betroffene keine Veranlassung gegeben habe, könne nach Meinung des Gerichts nicht mehr von einer kritischen Auseinandersetzung die Rede sein.
Das Gesamtkonzept und das eigentliche Ziel des Gedichts, die Grenzen der rechtlich zulässigen Meinungsäußerungen aufzuzeigen, sowie die fortlaufenden Hinweise auf diese Zielsetzung während der gesamten Sendung können nach Auffassung des OLG derartig schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nicht rechtfertigen.
Fazit
Auch die Entscheidung des OLG Hamburg zeigt, wie schwierig sich die Abgrenzung von zulässiger Kunst bzw. Meinungskundgabe und ehrverletzenden Äußerungen gestaltet. Die größte Schwierigkeit dabei ist es, der hohen Wertigkeit der Meinungs- und Kunstfreiheit bei der Abwägung Rechnung zu tragen.
Bereits die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Erdogans erscheint vorliegend durchaus fraglich, sofern man das Gedicht als unteilbares Gesamtwerk versteht. Eine andere rechtliche Bewertung ergibt sich natürlich dann, wenn lediglich einzelne Passagen des Gedichts herausgefiltert und rechtlich bewertet werden. Dann würde eine Missachtung der Person Erdogans zum Ausdruck kommen, welche rein diffamierende Schmähkritik darstellt und somit weder von der Kunst- noch der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Vielmehr ist das Gedicht jedoch als Teil des satirischen Gesamtwerkes Böhmermanns zu betrachten, welches, wenn auch überspitzt, die rechtlichen Grenzen der Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland aufzeigen sollte. Zweifel an der Entscheidung des OLG, wie auch des LG ergeben sich hinsichtlich der Aufspaltung des Gedichts in einzelne Verse. Dies führt dazu, dass dieses nicht mehr als Gesamtkonzept einer satirischen Fernsehshow gesehen wird. Den einzelnen Versen wird damit nicht nur ein anderer Sinngehalt zugeschrieben, sondern gleichzeitig werden diese auch rechtlich anders beurteilt.
Eine Revision wurde vom OLG nicht zugelassen. Es besteht damit nur noch die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH sowie im weiteren Verlauf der Verfassungsbeschwerde bei dem Bundesverfassungsgericht.
Das Thema rund um das Schmähgedicht Böhmermanns bleibt somit weiterhin spannend.
Ihr Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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