Urheberrechtlicher Schutz von Melodien
Ein Beitrag von RA David Geßner, LL.M. (Medienrecht & IP)
Der urheberrechtliche Schutz von Melodien spielt in der Musikwirtschaft eine immer größere Rolle. Im Zeitalter der Digitalisierung ist Musik nicht nur jederzeit abrufbar, sondern kann auch wesentlich einfacher kopiert, umgestaltet und bearbeitet werden. Daher ist die Frage des Musikplagiats immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Der international erfolgreiche Song „Blurred Lines“ von Pharell Williams und Robin Thicke soll ein Plagiat des Songs „Got to Give It Up“ von Marvin Gaye aus dem Jahr 1977 sein, so entschied jedenfalls ein US-Gericht.
In der Folge zahlte Pharrell Williams insgesamt 7,4 Millionen Dollar an die Erben von Marvin Gaye. In Deutschland ist vor allem der Rechtstreit zwischen der Gruppe Kraftwerk und dem Musikproduzenten Moses Pelham bekannt geworden, der mittlerweile seit mehr als 20 Jahren andauert. Pelham hatte für den Song „Nur mir“, den er für die Sängerin Sabrina Setlur produzierte, zwei Sekunden des Kraftwerk-Songs „Metall auf Metall“ verwendet (sog. „Sampling“), verlangsamt und fortlaufend wiederholt (sog. „Loop“). Auch der Rapper Bushido sah sich 2006 mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert und einigte sich außergerichtlich für einen höheren fünfstelligen Betrag.
Verletzung von Urheberrechten an Melodie – Plagiat
Es stellt sich die Frage, wann eine urheberrechtlich geschützte Melodie in ihrem verletzt wird. Als Plagiat im Rechtssinne definiert die Rechtsprechung die bewusste Aneignung fremden Geistesgutes. Als Plagiator wird allgemein derjenige verstanden, der fremde Werke oder Teile daraus benutzt oder nachmacht und sich rechtswidrig als deren Urheber ausgibt.
Doch die Beurteilung dieser Frage ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig und muss auch genrespezifische Besonderheiten berücksichtigen. So ist im HipHop das Sampling sogar fest mit der Musikkultur verbunden. Auch wird im Bereich der Popmusik häufig auf einfache, eingängige Tonabfolgen gesetzt, die manch einem aus anderen Musikwerken bekannt vorkommen mögen.
Aber nicht alle Songs, die ähnlich klingen, sind auch zwangsläufig Plagiate im rechtlichen Sinne. Vielmehr ist dazu eine sehr komplexe juristische und musiktheoretische Bewertung notwendig. Zunächst muss es sich bei der Vorlage bzw. dem „Original“ um ein Werk im Sinne des Urheberrechts handeln und dieses Werk – oder Teile daraus – muss in unveränderter oder umgestalteter Form übernommen worden sein.
Wann ist urheberrechtlicher Schutz einer Melodie gegeben?
Urheberrechtlicher Melodienschutz ist gegeben, wenn eine persönliche geistige Schöpfung im urheberechtlichen Sinn vorliegt. Dies erfordert wiederum eine individuelle Komposition. Der urheberrechtliche Schutz von Melodien und Musikwerken im Allgemeinen ist in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG explizit geregelt. Auch hier gilt der Schutz der sog. „kleinen Münze“. Das beduetet, dass die erforderliche Schöpfungshöhe einer Melodie bereits dann bejaht wird, wenn das Werk zwar als einfache Gestaltung anzusehen ist, aber dennoch einen gewissen Grad an Individualität aufweist.
Die schöpferische Leistung bei Medodien und Musikwerken generell kann sich aus der Gestaltung der Melodie, dem Aufbau der Tonfolgen, der Rhythmisierung, der Instrumentierung und der Orchestrierung ergeben. Keinen urheberrechtlichen Schutz erfahren hingegen einzelne Töne, Akkorde oder eine bestimmte Tonleiter, da diese im Interesse der Allgemeinheit frei bleiben müssen.
Ausgestaltung des urheberrechtlichen Schutzes von Melodien
Bei modernen Musikwerken liegt regelmäßig ein zusammengesetztes Werk vor, welches aus der Komposition und einem Text besteht. Beides kann jedoch für sich betrachtet urheberrechtlichen Schutz genießen. Auch ein kleiner Teil einer Komposition, wie etwa eine kurze Melodie, kann für sich betrachtet urheberechtlich geschützt sein. Die Melodie ist – juristisch ausgedrückt – eine in sich geschlossene und geordnete Tonfolge, die dem Werk seine individuelle Prägung gibt und ihren eigenen individuellen Charakter auch dann behält, wenn die Begleitungen wegfallen. Bei zu bejahender Individualität ist der Urheberrechtsschutz einer Melodie in der Regel zu bejahen.
Aber auch ungeordnete Tonfolgen können Werkcharakter haben, wenn etwa Art der Instrumentierung oder Rhythmisierung über eigenschöpferische Elemente verfügen. Die bloße Einprägsamkeit und der Wiedererkennungswert einer Melodie sind für die Frage der Werkeigenschaft jedoch nicht entscheidend. So war nach Auffassung des OLG München der McDonald’s-Jingle „Ich liebe es“ urheberrechtlich nicht geschützt, obwohl er unzweifelhaft einprägsam ist.
Wann ist freie Benutzung urheberrechtlich geschützter Melodien erlaubt?
Liegt nun eine urheberrechtlich geschützte Melodie oder ein sonstiges Musikwerk vor, dann stellt sich die Frage, in welcher Form das Werk oder Teile daraus durch Dritte im Rahmen einer neuen Komposition benutzt werden können.
Grundsätzlich dürfen Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen einer urheberrechtlichen geschützten Melodie oder eines sonstiges Werkes gemäß § 23 UrhG nur mit Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten oder umgestalteten Werkes veröffentlicht oder verwertet werden. Daraus folgt, dass die Verwertung einer Melodie nicht nur in der Originalfassung dem Urheber vorbehalten ist, sondern auch in einer bearbeiteten oder umgestalteten Form. Umgestaltung in diesem Zusammenhang bedeutet, dass die wesentlichen Züge des Originalwerks übernommen werden.
Der Grundsatz der Zustimmungspflichtigkeit bei Bearbeitungen und Umgestaltungen erfährt durch die Vorschrift des § 24 Abs. 1 UrhG eine Auflockerung. Danach darf ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass ein kulturelles Schaffen ohne ein Aufbauen auf die früheren Leistungen anderer Urheber wohl kaum denkbar wäre. Allerdings greift § 24 Abs. 1 UrhG nur in sehr engen Grenzen.
Abgrenzung unfreie Bearbeitung und freie Benutzung von Musikwerken
In der Rechtspraxis spielt für die Frage, ob ein Plagiat eines urheberrechtlich geschützten Musikwerkes vorliegt, die Abgrenzung zwischen der unfreien (zustimmungsbedürftigen) Bearbeitung (§ 23 UrhG) zu der freien (erlaubten) Benutzung (§ 24 I UrhG) eine wichtige Rolle. Maßgeblich ist, ob nach dem Gesamteindruck zwischen dem Originalwerk und der Adaption ein ausreichender Abstand gegeben ist. Auch die Eigenständigkeit beider Werke ist zu berücksichtigen.
Dabei kommt es zunächst auf den Grad der Individualität des Originalwerkes an. Weist das Original nur einen geringen Grad an Individualität auf, verblassen seine Züge im neu entstehenden Musikwerk schneller. Eine freie Benutzung liegt daher vor, wenn das fremde Werk nur als Anregung benutzt wird und gleichzeitig dessen Individualität gegenüber dem neuen Werk in den Hintergrund tritt.
Allerdings dürfen an die Individualität eines Werkes keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden, da gerade im Bereich der Pop- und Unterhaltungsmusik viele Musikproduktionen oft nur einen geringen Grad an Schöpfungshöhe aufweisen.
Eine unfreie Bearbeitung ist hingegen dann anzunehmen, wenn das Original besonders individuell oder komplex ist und das neue Werk so prägt, dass es dessen Wesen ausmacht. In diesem Zusammenhang kommt es auch darauf an, ob ein Durchschnittshörer das Original beim ersten Hören in dem neuen Werk ohne weiteres wiedererkennt oder lediglich eine gewisse Ähnlichkeit wahrnimmt.
Bei der Frage, ob ein ausreichender Abstand zum Originalwerk vorliegt, kann nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 16. April 2015 – I ZR 225/12 – „Goldrapper“) auch zu berücksichtigen sein, dass beim neuen Werk ein „Genre-Sprung“ vollzogen wird, also die Musik in einer anderen Stil-/Musikrichtung verwendet wird (etwa von der Stilrichtung des Gothic zum Rap).
Wann greift der sog. starre Melodienschutz?
Die Ausnahmeregelungen zur freien Nutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) greift hingegen nicht bei Melodien. Denn das Urheberrecht enthält in § 24 Abs. 2 UrhG für Melodien einen besonderen Schutz. Danach wird die Melodie gegen jede Verwendung in einem neuen Werk geschützt, sofern diese erkennbar einem neuen Werk zugrunde gelegt wurde.
Dieser sog. starre Melodienschutz bewirkt, dass die Benutzung einer Melodie ohne Einholung der erforderlichen Zustimmung des Urhebers rechtlich nicht zulässig ist. Insoweit findet also § 24 Abs. 1 UrhG im Bereich der Musik nur Anwendung auf sog. offene bzw. ungeordnete Tonfolgen, wobei eine trennscharfe Abgrenzung zur Melodie im Einzelfall nur schwer möglich ist.
Wie ist die Rechtslage bei Covern und Remixen?
Bei Cover-Versionen wird in der Regel ein bestehendes Werk neu interpretiert, wobei Text und Musik des Originals nicht verändert werden. Die Erkennbarkeit der Melodie des Ausgangwerks ist also gewollt. Wegen des starren Melodienschutzes gemäß § 24 Abs. 2 UrhG sind Cover-Versionen regelmäßig zustimmungspflichtig. Aber auch hier bewegt man sich im Spannungsbereich zur freien Benutzung, so dass eine rechtliche Grauzone vorliegt.
Wird etwa das Originalwerk bei unverändertem Arrangement lediglich mit einem anderen Sänger vertont, ist wegen der Komposition regelmäßig nur das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht betroffen. Die Neuvertonung selbst kann hingegen erlaubt sein. Wird eine Komposition notengetreu nachgespielt, kann rechtlich betrachtet ebenfalls eine Vervielfältigung vorliegen (BGH, 19.01.2006 – I ZR 5/03, Tz. 29, Alpensinfonie).
Bei einem Remix wird ein Musikstück durch die Abwandlung der vorhandenen mehrspurigen Tonspuren, z.B. durch Veränderung des Rhythmus, Klangs, Tempos oder des Gesangs verändert. Damit liegt regelmäßig eine Bearbeitung iSd. § 23 UrhG vor. Diese bedarf grundsätzlich der Einwilligung des Urhebers. Wenn sich die Neufassung allerdings nicht als Umgestaltung des Originalwerks darstellt, sondern lediglich als eine Neuinterpretation, kann ebenfalls eine freie Benutzung vorliegen. Um Rechtsstreitigkeiten über etwaige Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche zu vermeiden, sollte man sich daher vorsorglich die Bearbeitungsrechte einräumen zu lassen.
Exkurs: Sampling
Das Sampling von fremder Musik stellt grundsätzlich einen Eingriff in die Rechte des Urhebers bzw. Tonträgerherstellers dar, wenn die Zustimmung des Urhebers nicht eingeholt wurde. Anders ist es allerdings, wenn die entnommenen Musikfragmente so weit verändert worden sind, dass eine Wiedererkennung des Originalwerks ausgeschlossen erscheint. So hat jedenfalls der Europäische Gerichtshof (EuGH) in dem Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham entschieden (Urteil vom 29.07.2019 – C-476/17 – „Metall auf Metall“). In diesem Rahmen ist das Sampling fremder Songs also zulässig.
Wann liegt eine Doppelschöpfung vor?
Häufig wird im Rahmen von Plagiatsstreitigkeiten durch den vermeintlichen Verletzer behauptet, dass er/sie das bestehende Werk gar nicht gekannt hat. Beide Künstler hätten vielmehr unabhängig voneinander quasi übereinstimmende Werke geschaffen. Häufig kann dies durch den Grad der Übereinstimmungen recht einfach widerlegt werden. Denn es erscheint nahezu ausgeschlossen, dass musikalische Werke bei sehr weitgehenden Übereinstimmungen das Ergebnis selbständigen Schaffens zweier Urheber sind.
Dementsprechend ist die Rechtsprechung bei der Annahme einer sog. Doppelschöpfung äußerst zurückhaltend. Denn auch die unbewusste Entlehnung kann eine Urheberrechtsverletzung darstellen. So ist es in diesem Zusammenhang ausreichend, wenn zumindest die Möglichkeit bestand, dass der Urheber des neuen Werks das vorbestehende Werk einmal gehört hat und es dabei unterbewusst „abgespeichert“ haben könnte.
Fazit
Der urheberrechtliche Schutz von Werken der Musik und im besonderen von Melodien sowie die Frage nach dem Bestehen eines Plagiats ist nicht nur juristisch besonders interessant, sondern vor allem von enormer wirtschaftlicher Bedeutung sowohl für Künstler als auch für Verlage und Tonträgerunternehmen. Gerade bei wirtschaftlichem Erfolg des vermeintlichen Plagiats können Rechtstreitigkeiten nicht nur besonders langwierig sondern auch teuer werden.
Ob der urheberrechtliche Melodienschutz im Einzelfall greift oder eine freie Benutzung vorliegt, bedarf insbesondere für die Analyse von Übereinstimmungen einer umfassenden musiktheoretischen Bewertung, so dass es sich empfiehlt, vor einer Geltendmachung von Ansprüchen ein musiktheoretisches Gutachten eines Sachverständigen einzuholen.
Ihre Anwälte für Musikrecht
Sie haben Fragen rund um den Schutz von Musikwerken oder möchten einen Plagiatsfall juristisch bewerten lassen? Als Fachanwälte für Urheberrecht und Anwälte für Musikrecht beraten wir Sie gern bundesweit und unterstützen sie bei der Durchsetzung oder Abwehr von urheberrechtlichen Ansprüchen. Gerne helfen wir auch bei der Vermittlung von gerichtserfahrenen Musiksachverständigen. Aber auch bei sonstigen Fragen rund um den Bereich des Musikgewerbes stehen wir Ihnen kompetent zur Verfügung. Nehmen Sie jetzt Kontakt zu uns auf.